Der Tanz des Maori (epub)
ins Grab genommen hast. Die Tage, an denen du plötzlich untröstlich warst â ich habe gelernt, damit zu leben. Aber jetzt benimm dich nicht so, als ob du jemand anders wärst. Ich würde dich unter Tausenden erkennen!«
Langsam schlossen sich seine Augen wieder. Sein rasselnder Atem wurde ruhiger, er schlief wieder ein. Sina richtete sich auf, sah verwirrt ihre Mutter an.
»Hat er mich mit meiner GroÃmutter verwechselt?«
»Es sieht fast so aus«, murmelte ihre Mutter. »Die beiden haben sich wahnsinnig geliebt. Er war untröstlich, als sie starb. Aber das ist fünfundzwanzig Jahre her. Seitdem hat er nur wenig von ihr geredet.« Sie musterte ihre Tochter. »Vielleicht siehst du ihr ähnlich. Ich weià es nicht â für mich war meine Mutter immer eine ältere, kränkliche Frau â die dann ziemlich früh gestorben ist. Du hast sie ja nicht einmal mehr kennengelernt.«
Sina schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich war es nur das Morphium. Wir kommen heute Abend noch einmal vorbei. Vielleicht ist er dann klarer â¦Â«
Schweigend fuhren sie die wenigen Kilometer zu Sinas Elternhaus. Vor dem Urlaub in Neuseeland hatte sie alle ihre Möbel und Bücher in den Keller geräumt â so hatte sie sich die Miete für ihre kleine Wohnung in Kreuzberg gespart. Jetzt wurde ihr mit einem kleinen Schrecken klar, dass sie wahrscheinlich keine Wohnung mehr mieten wollte. Sie musste so schnell wie möglich zurück nach Neuseeland, zu Brandon. Am besten schon für das Praktische Jahr.
Zu Hause angekommen, kochten sie sich eine groÃe Kanne Tee. Gemeinsam mit ihren Eltern setzte Sina sich in das Wohnzimmer und kam endlich dazu, ihnen von ihrem groÃartigen Urlaub zu erzählen. Von den Pferden in Port Levy, der Wildnis von Paparoa â und irgendwann dann auch von Brandon. Während sie erklärte, wie sie ihn kennengelernt hatte, was sie gemeinsam gemacht hatten, wechselten ihre Eltern hin und wieder einen schwer zu deutenden Blick. SchlieÃlich endete Sina mit einem »Ich denke, ich werde das Praktische Jahr in Christchurch machen. Dann kann ich Brandon jeden Tag sehen, wir können zusammenwohnen und dabei ausprobieren, ob wir wirklich zusammengehören â¦Â«
Sie beendete ihre Geschichte. Für einen Moment herrschte Schweigen. Dann sah ihre Mutter ihren Mann mit einem schiefen Lächeln an.
»Ich glaube, unsere Tochter versucht uns zu sagen, dass sie wahrscheinlich auswandern wird.«
Es tat Sina in der Seele weh, zu sehen, wie ihre Eltern sich den Verlust der Tochter vorstellten und schon fast anfingen, um sie zu trauern. Sie hob ihre Hand. »Auswandern ist ein groÃes Wort. Das ist ja nicht wie noch vor ein paar Jahrzehnten, wo so etwas ein Abschied für immer war. Die Flüge werden immer günstiger â und noch dazu gehe ich erst in ein paar Monaten, um mein Praktisches Jahr in Christchurch zu machen. Bis dahin ist es noch lange hin â¦Â«
Ihre Mutter nickte. Sie hatte ihre Tochter noch nie so von einem Mann reden gehört. Es klang verdächtig nach etwas Ernstem, selbst wenn Sina das im Moment noch nicht so deutlich aussprach. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es meldete sich die Oberschwester der Station, auf der Hubertus Gehrling lag. Sie machte keine langen Umschweife. »Wenn Sie Ihren Vater noch einmal lebend sehen wollen, dann sollten Sie jetzt vorbeikommen. Es geht dem Ende zu.«
Sina eilte mit ihren Eltern ins Krankenhaus. Aber Hubertus Gehrling erlangte das Bewusstsein nicht mehr wieder. Sie saÃen an seinem Bett, bis in den frühen Morgenstunden sein Atem so ruhig verebbte wie eine langsam auslaufende Welle des Meeres. Die letzten klaren Worte seines Lebens hatte er an diesem Nachmittag mit seiner Enkelin gewechselt. Und Sina war sich nicht sicher, wie klar sie eigentlich gewesen waren. Wer weiÃ? Vielleicht hatte er ja schon mit einem Auge ins Jenseits geblickt und dort seine Frau gesehen, die auf ihn wartete. Sina fand diesen Gedanken irgendwie tröstlich.
Die Beerdigung fand an einem verregneten Märztag statt, während Sina sich bemühte, ihren Eltern eine Stütze in dieser schweren Zeit zu sein. Als ihre Mutter sich schlieÃlich daran machte, den Nachlass ihres Vaters zu sortieren, wehrte sie allerdings die Hilfe ihrer Tochter ab.
»Es wird Zeit, dass du dich wieder um dein Studium kümmerst. Du musst wirklich nicht in staubigen Büchern und
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