Der Tanz des Maori (epub)
alte Bäume in den Gärten. Ganz allmählich hörte Sina auf, nur über ihr eigenes Problem nachzugrübeln und ging mit offenen Augen die StraÃen entlang. Hier musste doch jeder jeden kennen. Auch das Verschwinden von Angus oder Ava konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Am Ende einer StraÃe entdeckte sie eine niedrige Mauer, dahinter Grabsteine. Neugierig betrat sie den Friedhof durch ein kleines Tor, das quietschend aufschwang, als sie dagegendrückte. Der Ort strahlte Frieden aus, die schmalen Wege mit den feinen Kieselsteinen waren sauber geharkt. Sie ging durch die Reihen und las die Namen der Menschen, die hier einst gelebt hatten. Keiner der Namen kam ihr bekannt vor. Nach ein paar Minuten gab sie auf. Vielleicht war dieser Friedhof ja auch sehr viel später eingerichtet worden. Bevor sie wieder auf die StraÃe zurückging, sah sie sich noch einmal um. Die Wiese, dahinter die hohen Bäume â irgendwie kam ihr diese Gegend bekannt vor. Sina schüttelte den Kopf. Das konnte schlieÃlich nicht sein, sie war sich absolut sicher, dass sie diesen Ort das erste Mal betreten hatte.
Die StraÃe führte sie wieder zurück in das überschaubare Ortszentrum von Seddonville. Ein kleines Café lockte mit einem Reklameschild, das frischen Kaffee und hausgemachte Kuchen versprach. Sina trat durch die quietschende Tür, eine Glocke kündete von ihrem Kommen, und sie setzte sich in eine Ecke. Was erhoffte sie sich von diesem Besuch hier? Eine Lösung ihrer Probleme mit Brandons GroÃvater? Eine Erklärung ihrer merkwürdigen Träume, die sie jetzt schon fast ein Jahr lang heimsuchten? Oder doch nur das Ende einer tragischen Geschichte, die sie im Grunde nichts anging? Sie rührte nachdenklich in ihrem Kaffee und malte kleine Kringel mit einem Kugelschreiber auf die Papierunterlage unter ihrem Teller. Sie, die sich immer nur an wissenschaftliche Fakten und die Wirklichkeit hielt, saà jetzt hier in einem Kaff an der neuseeländischen Westküste â und das nur wegen der Liebe und einem Geheimnis, hinter dem sich womöglich nur eine tragische Familiengeschichte verbarg, die wenig oder nichts mit ihr zu tun hatte.
Sina war nicht bewusst, wie schnell die Zeit verging, bis plötzlich die Bedienung mit einem entschuldigenden Lächeln vor ihr stand. »Es tut mir leid, aber wir haben vor ein paar Minuten geschlossen ⦠Könnte ich Sie wohl um die Bezahlung bitten?« Erschrocken blickte Sina auf ihre Uhr. Es war tatsächlich schon früher Abend. Hatte sie wirklich den ganzen Tag hier auf diesem Stuhl verbracht?
Hastig bezahlte sie die Rechnung und verlieà das Café. Die Sonne schickte ihre schräg fallenden Strahlen herunter, ein Licht, in dem Seddonville wie vergoldet wirkte. Sina ging zufrieden zurück zu Mary-Anns Haus â und versprach sich selber: Wenn Ruiha bis morgen nicht zurück sein sollte, dann würde sie die Suche nach den Geistern der Vergangenheit beenden ⦠Dann würde sie zurück nach Christchurch fahren und gemeinsam mit Brandon den GroÃvater mit den Fakten konfrontieren: Wir leben zusammen, wir lieben uns â und du wirst nichts daran ändern können. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der GroÃvater dann seine Drohung wahr machen und wirklich den Kontakt zu seinem Enkel abbrechen würde.
Mit diesem Entschluss wurde ihr Schritt schneller. Vielleicht wartete Mary-Ann bereits auf sie? Als sie an Ruihas Haus vorbeikam, warf sie nur einen schnellen Blick zur Seite. Und stockte. Das Licht in der Küche brannte, die Tür zur Veranda stand ein Stückchen weit offen.
Sina ging durch den Garten und klopfte vorsichtig an die offen stehende Tür. »Hallo?«, rief sie halblaut in das Haus.
»Ich komme gleich!«, ertönte es aus dem Keller. Sekunden später tauchte Ruiha auf der Kellertreppe auf. Sie winkte Sina zu. »Komm doch herein!«
»Störe ich auch wirklich nicht?« Sina sah sich fragend um.
»Ach, Blödsinn, natürlich nicht. Ich habe gehofft, dass du bald wiederkommst. Es war schlieÃlich wirklich nicht nett von mir, euch beide beim letzten Mal einfach so alleine zu lassen.«
»Nein, das war doch verständlich«, wehrte Sina ab. »Wir haben uns nur Sorgen gemacht â wo bist du denn so plötzlich hingefahren?«
»Ach, ich bin nur für ein paar Tage bei Verwandten untergekrochen!«, lachte Ruiha. »Ich
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