Der Tanz des Maori (epub)
Augen.
Neben dem Telefon lag schon seit zwei Wochen eine Adresse in Christchurch. Ein Archiv für Zeitungsartikel, Unterlagen der Meldebehörden, Tauf- und Hochzeitsurkunden. Ein Patient hatte ihr erzählt, dass man dort alles finden würde. Und das, was man nicht fand, könnte man immerhin bestellen â oder als Rechercheauftrag hinterlassen. Sie war fest entschlossen, diesem Archiv am Samstagvormittag einen Besuch abzustatten. Was sollte sie sonst in dieser Stadt tun? Brandon war auf hoher See, und die anderen Ãrzte in Ausbildung kannten sich schon länger, da konnte sie wohl kaum erwarten, zu einem spontanen Gartenfest eingeladen zu werden.
Sie öffnete ihren E-Mail-Account. Katharina fragte nach Neuigkeiten und erzählte begeistert von ihrem Praktikum in einer Zeitungsredaktion. Selbst über die groÃe Entfernung konnte Sina spüren, dass Katharina dieser Job wirklich Spaà machte. Ihre Eltern, milde besorgt, weil sie sich seit einer Woche nicht gemeldet hatte. Und schlieÃlich Brandon. Eine endlose Mail mit Betrachtungen über die Schönheit von Walen, die seinen Tanker auf den endlosen Strecken zwischen zwei Häfen begleiteten. Und schlieÃlich: »Egal, wie schön es ist, wenn abends die Sonne ins Meer sinkt und das Kreuz des Südens am Himmel aufstrahlt â ich wäre jetzt lieber bei dir. Aber es dauert ja nicht mehr lange â¦Â«
»Vier Wochen«, murmelte Sina. Um in derselben Sekunde zu merken, dass sie tatsächlich laut geredet hatte. Verärgert schüttelte sie den Kopf. »Wahrscheinlich rede ich bis dahin wirklich mit mir selbst ⦠Ich ende noch wie die alten Damen, die am Supermarktregal mit sich selbst ausdiskutieren, ob sie lieber Erdbeer- oder Himbeerjoghurt essen â¦Â« Sie grinste und machte den Computer wieder aus. Sie würde Brandon erst morgen schreiben. Wenn sie ihm Neues aus dem Archiv erzählen konnte.
Matakite verkauft
Die nach dem Grubenunglück im vergangenen Jahr stillgelegte Mine Matakite wurde an die Westport Coal Company verkauft. Minenbesitzer Angus MacLagan: »An diesem Ort hängen zu viele schmerzhafte Erinnerungen, ich möchte mit diesem Kapitel in meinem Leben abschlieÃen.« Die Westport Coal Company war zu keinem Kommentar bereit, plant allerdings nicht, die Mine in absehbarer Zukunft wieder in Betrieb zu nehmen.
Sina sah die kurze Meldung in der »Press« an â der erste Erfolg nach mehreren Stunden in diesem düsteren Archivraum. Die Zeitung war offensichtlich in den DreiÃigerjahren an die Westküste geliefert worden und hatte sich deswegen auch um Neuigkeiten aus dieser Gegend bemüht. Also hatte Angus Matakite verkauft. Was danach wohl aus ihm geworden war? Der kurze Artikel hatte nichts über seine Pläne ausgesagt. Sina vermutete insgeheim, dass Angus doch Angst hatte, dass seine Lügen über John Denson noch ans Licht kommen könnten. AuÃerdem hatte Matakite keinen Profit mehr abgeworfen. Grund genug, um sich zu neuen Ufern aufzumachen. Sie blätterte weiter, aber fand nichts mehr über die Mine. Auch die Suche nach den Namen brachte keine neuen Ergebnisse. AuÃer vielleicht die Erkenntnis, dass Angus voll und ganz recht behalten hatte: Mit dem Nahen des Zweiten Weltkrieges gingen die Preise für Kohle steil nach oben. Die künftigen Kriegsherren bauten Panzer und Geschütze, die Stahlindustrie legte Sonderschichten ein â und für die groÃen Ãfen brauchte man Kohle. Auch Kohle aus Neuseeland.
Müde ging sie am Nachmittag nach Hause, ohne auf das strahlende Wetter zu achten. In der Zeitung hatte sie nichts mehr über Angus MacLagan gefunden. Und auch in Hochzeits- und Geburtsregistern der Südinsel war er nicht mehr verzeichnet. Sie hatte sogar das Register mit den Sterbeurkunden durchgesehen. Aber es war wie verhext: Entweder Angus MacLagan lebte noch, wenn er auch steinalt sein musste, war aber nie mehr öffentlich aufgefallen. Oder er verschwand in der Sekunde, in der er Matakite verkauft hatte, vom Erdboden. Sie schüttelte den Kopf. Das passierte doch nicht so einfach â¦
Nach ein paar Sandwiches und einem hastig heruntergestürzten Glas kalten WeiÃweins setzte sie sich wieder vor ihren Computer. Vor der Tür tobte zwar das Leben. Die Studenten von Christchurch gingen in Kneipen und in die Kinos, grillten in den Parks oder feierten in Discos. Aber sie hing verbissen vor ihrem Computer und suchte nach
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