Der Tanz des Maori (epub)
erst, als sie in der Trauerkleidung aufbrach â wie sollte ich ihr erklären, dass ihre Anwesenheit von den Trauernden wohl kaum erwünscht war? Ich begleitete sie und trug Junior.
Auf dem Friedhof war bereits eine riesige Menge, als wir eintrafen. Ich fühlte mich in meiner Haut nicht wohl. Alle tuschelten, deuteten auf uns und schüttelten immer wieder den Kopf. Sie schienen allesamt vergessen zu haben, dass auch Ava ihren Mann verloren hatte. Ich sah, wie eine der Witwen zu den wartenden Haka-Tänzern hinging und ihm etwas zuwisperte. Er nickte mit grimmigem Gesicht und sah Ava unverhohlen die ganze Zeit zornig an.
Der Pfarrer begann seinen Trauergottesdienst mit sehr gesetzten Worten. Er redete über das Leben, seinen Anfang und sein Ende in Gottes Hand â gerade bei einer so gefährlichen Arbeit im Bergwerk. Erst gegen Ende seiner Predigt wurde er deutlicher. Und dann sah er Ava gerade in die Augen, während er die letzten Sätze der Predigt schmetterte: »Es gibt Menschen, die für den Profit nicht mehr auf das Glück oder Unglück ihrer Mitmenschen achten. Sie denken, sie können sich mit einer kleinen Spende wieder in das Herz Gottes und seiner Gemeinde zurückkaufen. Aber sie vergessen, dass wir alle ein gutes Gedächtnis haben. Und Gott verzeiht den reuigen Sündern und den gefallenen Mädchen â aber er verzeiht ganz sicher nicht den Geldgierigen, die kein Gefühl der Reue haben.«
Vorsichtig sah ich mich um. Wo steckte eigentlich Angus MacLagan? Aber der ahnte wohl, dass diese Beerdigung alles andere als ein angenehmer Spaziergang für die Besitzer der Mine sein würde.
Die Gemeinde nickte bei den heftigen Worten des Pfarrers anerkennend. Ava merkte wohl, dass er sie direkt ansprach. Sie nestelte nervös an ihrem Schleier herum. Auch Junior reagierte auf meine Nervosität und fing auf meinem Arm zu schreien an. Nichts konnte ihn beruhigen, weder Streicheln noch gutes Zureden noch ein Stück Brot, das ich vorsorglich eingepackt hatte. Mitten in das Schweigen und das Babygeschrei hinein fingen die Männer von meinem Stamm an, ihren Trauer-Haka zu tanzen. Das ist eigentlich nichts Spektakuläres, aber die Tänzer machten daraus fast einen Kampf-Haka. Vor allem der wichtigste Tänzer in der Mitte ging stampfend auf Ava zu. Die Menge teilte sich vor ihr, bis sie Auge in Auge mit dem Mann stand. Er schlug sich auf die Oberschenkel und die Brust, rollte mit den Augen und stampfte immer wieder auf den Boden â dabei war er wirklich nur noch Zentimeter von Ava entfernt. Sie ging ängstlich einen Schritt zurück. Der Tänzer folgte ihr sofort. Noch weiter konnte Ava nicht ausweichen: Die Trauergemeinde stand wie eine Mauer hinter ihr. Sie hielt sich aufrecht, bis das Lied endlich zu Ende war. Aber ich sah, dass ihre Hände zitterten und unter ihrem Schleier Tränen hervorrannen. Später gab sie zu, dass sie all ihre Kraft darauf verwenden musste, um nicht zusammenzubrechen â¦
»Wie geht so ein Trauer-Haka? Wie sah das damals genau aus? Hat es während der Beerdigung geregnet?«, unterbrach Sina Ruihas Erzählung. Vor Aufregung zeigten sich rote Flecken auf ihren Wangen.
Ruiha sah die junge Frau überrascht an. »Ja, es hat schrecklich geregnet. Ich erinnere mich sogar an Donner und Blitze. Eigentlich hat der Regen seit dem Unglück in Matakite nicht aufgehört. Schrecklich, dabei war es doch eigentlich Sommer. Warum willst du das wissen?«
»Unwichtig«, wiegelte Sina ab. »Bitte, zeig mir, wie dieser Haka aussieht!«
Mit zusammengezogenen Brauen sah Ruiha die aufgeregte junge Frau an. Dann erhob sie sich, ging etwas in die Hocke und klopfte sich auf die Oberschenkel, während sie ein paar Schritte andeutete.
»Das ist er!«, rief Sina. »Genau das ist der Tanz, von dem ich jetzt schon seit bald einem ganzen Jahr träume!«
»Du träumst einen Tanz, den du nicht kennst?«, fragte Ruiha ungläubig. Offenbar war sie sich nicht sicher, richtig gehört zu haben.
Sina nickte nur. »Ja. Seitdem ich das erste Mal einen Fuà auf neuseeländischen Boden gesetzt habe, kehrt dieser Traum immer und immer wieder zurück. Am Anfang habe ich gedacht, dass der Mann mich angreift, dass er mir etwas Böses tun will. Aber dann hat Brandon mir den All Blacks-Haka gezeigt. Das sah so ähnlich aus, wie das, was ich träume. Ich konnte mir nur nicht erklären, warum ich von
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