Der tanzende Tod
Hauptsorge gilt stets Tony. Die Dame erinnert sich möglicherweise an nichts, was uns von Nutzen sein könnte.«
Ich erhob mich aus meinem Sessel, da ich das Bedürfnis hatte, herumzulaufen. Mein Magen zog sich erneut zusammen angesichts einer Idee, welche mir keinen Deut gefiel.
»O Gott.«
Mein Gebaren verwirrte Oliver. »›O Gott‹ – was?«
»O Gott im Himmel, warum stecke ich dermaßen in der Klemme?«
»In welcher Klemme?«
»Diejenige, in welcher ich all diese Zeit gesteckt habe, als ich dir die würdigen Gründe aufgezählt habe, warum ich Abstand davon nehmen sollte, Menschen zu beeinflussen, während ich nun einen ebenso würdigen Grund dafür sehe, meine Fähigkeit der Beeinflussung wieder einzusetzen.«
»Bei Mrs. Warburton?« Seine Brauen schossen nach oben, und er riss die Augen weit auf. »Du meinst, du könntest sie so beeinflussen, dass sie sich besser an ein vergangenes Ereignis erinnert?«
»Etwas sagen und dann etwas anderes tun wollen«, herrschte ich nicht ihn, sondern mich selbst an.
Oliver sah mit offenem Munde zu, wie ich einige schnelle Runden durch den Raum drehte. »Was meinst du? Du denkst doch daran, Mrs. Warburton zu beeinflussen, oder nicht?«
»Ich bin ein verdammter Heuchler, jawohl.«
Er schüttelte den Kopf über mich. »Ein verdammter Dummkopf, meinst du wohl.«
»Ja, dessen bin ich sicher. Eine unschuldige Frau zu beeinflussen, das ist –«
»Es ist geradezu hervorragend! Ich verstehe, woher der Gedanke stammt – wenn du und Nora Leute dazu bringen könnt, gewisse Dinge zu vergessen, dann seid ihr ebenso in der Lage, ihnen dabei zu helfen, sich an andere zu erinnern. Dies ist wunderbar.«
»Es ist hinterlistig ... unehrenhaft...«
»Oh, Unsinn! Es ist ja nicht so, als verändertest du das Leben der Frau – und wenn es auch nicht gerade ehrenhaft ist, so ist es dennoch ganz sicher nichts, was ihr schadet. Himmel, Mann, du könntest sie sogar um ihre Erlaubnis bitten, dies zu tun.«
Dies ließ mich augenblicklich innehalten. »Wie bitte?«
»Bitte sie um Erlaubnis«, wiederholte er langsam und deutlich.
»Wie, zum Teufel, könnte ich dies tun? Ich müsste ihr alles über mich erzählen und –«
»Nein, dies müsstest du nicht tun. Meinst du, du müsstest dich jedem Menschen erklären, dem du begegnest? Eitelkeit, Vetter, hüte dich vor der Eitelkeit. Wenn ihr Erinnerungsvermögen nicht gut funktioniert, dann ist alles, was du tun musst, ihr zu sagen, dass du einen Weg wüsstest, es wieder aufzufrischen, und sie zu fragen, ob sie gewillt ist, es zu versuchen. Sie muss nicht erfahren, auf welche Weise du es tust, nur, dass du es vermagst und dass es vollkommen harmlos ist. Ich werde bei dir sein, um dir den Rücken zu stärken. Was sagst du dazu?«
Um Erlaubnis bitten. Dies war so offensichtlich, dass ich mich nun fühlte, als sei ich von Natur aus ein Strohkopf. Vielleicht sollte ich mich zur Unterhaltung der Massen in Vauxhall oder Ranleigh zur Schau stellen lassen.
»Wenn sie dir sagt, dass alles in Ordnung sei, dann hast du ein reines Gewissen, nicht wahr?«, fragte er auf die Art eines Menschen, der nur eine einzige Antwort gelten lässt.
»Ich ... das heißt...«
»Hervorragend! Ich wusste, dass du vernünftig sein würdest. Ich werde ihr einfach erzählen, dass dies etwas sei, was du in Amerika gelernt hättest. Die Leute glauben einfach alles, was du ihnen über dieses Land erzählst, egal, wie ausgefallen es auch sein mag, weißt du.«
Oliver machte sich auf den Weg zum Abendessen und ließ mich in seinem Studierzimmer zurück, wo ich mir meine eigene Unterhaltung suchen musste. Üblicherweise nahm ich an den abendlichen Essen nicht teil, da der Geruch all dieser gekochten Speisen auf einem so begrenzten Raum meinen geschärften Geruchssinn überwältigte. Doch hier fand ich ein gewisses Maß an Erleichterung von ihrer unsichtbaren Anwesenheit, und wenn es mir zu viel wurde, konnte ich jederzeit ein Fenster öffnen. Bisher gab es noch keinen Grund, die Winterkälte hereinzulassen, und wenn er zurückkehrte, würde Oliver sein Zimmer ebenso warm und gemütlich vorfinden, wie er es verlassen hatte.
Mit müder Resignation setzte ich mich an seinen Schreibtisch, fand Papier, eine Schreibfeder mit einer guten, sauberen Spitze und öffnete das Tintenfass. Es war an der Zeit, Vater einen Brief zu schreiben.
Als ich die Anrede geschrieben hatte und eine Pause einlegte, um meine Gedanken zu sammeln, überwältigte mich die innige Hoffnung, dass er
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