Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
sie sagt.«
»Was ist da los, K 2 XWL ? Kannst du mich hören, K 2 XWL ?«
»Sie ruft meinen Namen. Hören Sie das? Sie ruft meinen Namen«, sagte Major Rice.
»Sperren Sie die Frequenz, verdammtnochmal!« schrie der General. »Grölen Sie, pfeifen Sie –, machen Sie irgend was!«
Der morgendliche Verkehr an der Universität vorbei kam hupend und übelgelaunt zum Stehen, als Groszinger geistesabwesend bei Rot auf seinem Rückweg zu Büro
und Funkraum die Fahrbahn überquerte. Er sah überrascht hoch, murmelte eine Entschuldigung und rannte zum Bürgersteig. Er hatte in einem 24-Stunden-Imbiß anderthalb
Straßen vom Laborgebäude entfernt einsam gefrühstückt und dann einen langen Spaziergang gemacht. Durch ein paar Stunden Abwesenheit, hatte er gehofft, würde er den Kopf
freibekommen –, aber das Gefühl von Verwirrung und Hoffnungslosigkeit hatte ihn nicht verlassen. Hatte die Welt ein Recht, das alles zu erfahren, oder nicht?
Von Major Rice waren keine weiteren Funksprüche gekommen. Auf Befehl des Generals war die Frequenz gesperrt worden. Auf 25 000 Megacycles konnte der unerwartete Lauscher nur noch ein
beständiges Jaulen hören. General Dane hatte Washington das Dilemma kurz nach Mitternacht gemeldet. Vielleicht waren inzwischen Befehle durchgekommen, was mit Major Rice geschehen
sollte.
Groszinger blieb auf den Stufen zum Laborgebäude an einem besonnten Fleckchen stehen und las noch einmal die Zeitungsnachricht auf der ersten Seite, eine phantasievolle Spalte unter der
Überschrift »Enthüllt geheimnisvoller Funkspruch gefälschtes Testament von Hollywood-Star?« Die Geschichte erzählte von zwei Funkamateuren, die illegal auf dem
mutmaßlich unbenutzten Ultrahochfrequenzband experimentierten und zu ihrem Erstaunen einen Mann hörten, der über Stimmen und ein Testament plapperte. Die Amateure hatten das Gesetz
gebrochen, indem sie auf einer nicht zugelassenen Frequenz operierten, aber sie hatten über ihre Entdeckung getratscht. Jetzt würden sich Funkamateure in der ganzen Welt Empfänger
bauen, mit denen sie auch was davon hatten.
»Morgen, Sir. Herrlicher Morgen, stimmt’s?« sagte ein Pförtner, der gerade Feierabend hatte. Es war ein vergnügter Ire.
»Schöner Morgen, stimmt«, stimmte Groszinger ihm bei. »Bewölkt sich vielleicht ein bißchen im Westen.« Er fragte sich, was der Pförtner sagen
würde, wenn er ihm sagte, was er wußte. Lachen würde er, wahrscheinlich.
Groszingers Sekretärin staubte seinen Schreibtisch ab, als er hereinkam. »Sie könnten etwas Schlaf gebrauchen, stimmt’s?« sagte sie. »Warum ihr Männer
nicht besser auf euch achtgebt, das ist mir echt schleierhaft. Wenn Sie eine Frau hätten, würde sie dafür sorgen, daß Sie ...«
»Ist mir noch nie so gut gegangen wie jetzt«, sagte Groszinger. »Schon was von General Dane gehört?«
»Vor zehn Minuten hat er Sie gesucht. Jetzt ist er wieder im Funkraum. Er hat eine halbe Stunde lang mit Washington telefoniert.«
Sie hatte nur eine sehr vage Vorstellung davon, worum es bei dem Projekt ging. Wieder spürte Groszinger den Drang, von Major Rice und den Stimmen zu erzählen, zu sehen, welche Wirkung
das auf jemand anderen hatte. Vielleicht würde seine Sekretärin reagieren wie er, mit einem Achselzucken. Vielleicht war dies der Geist des Atombomben-Zeitalters, des H-Bomben-Zeitalters,
des Gott-weiß-was-als-nächstes-für – Bomben-Zeitalters –, daß man über gar nichts mehr staunte. Die Wissenschaft hatte der Menschheit genug
Kräfte gegeben, um die Erde zu zerstören, und die Politik hatte der Menschheit die schöne Gewißheit verschafft, daß diese Kräfte auch genutzt wurden. Dieser
Schrecken war nicht zu übertreffen. Aber der Beweis, daß es eine Geisterwelt gab, kam ihm vielleicht zumindest gleich. Vielleicht war das der Schock, den die Welt brauchte, vielleicht
konnte die Nachricht von den Geistern den selbstmörderischen Verlauf der Geschichte ändern.
General Dane sah matt auf, als Groszinger in den Funkraum kam. »Sie bringen ihn runter«, sagte er. »Das ist unsere einzige Möglichkeit. Für uns ist er
verbrannt.« Der Lautsprecher, leise gestellt, sang das monotone Gesumm des Sperrsignals. Der Funker schlief vor seinem Gerät, den Kopf auf den verschränkten Armen.
»Haben Sie noch einmal versucht, zu ihm durchzukommen?«
»Zweimal. Jetzt ist er eindeutig übergeschnappt. Habe versucht, ihm zu sagen, er soll eine andere Frequenz nehmen, er soll seine Funksprüche
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