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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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er ins Studio zurückkehrte. Er überreichte mir ein gelbes Seidentaschentuch. »Das ist für
Sie«, sagte er. »Stecken Sie es sich in die Brusttasche. Dieser dunkle Anzug hat es so nötig, wie ein Wald die Osterglocken braucht.«
    Ich gehorchte und sah in einem Spiegel, daß mir das Taschentuch tatsächlich ein bißchen Schmiß verlieh, ohne Anstoß zu erregen. »Vielen Dank«, sagte ich.
»Ihre Frau und ich haben uns sehr angenehm die Zeit mit einem Gespräch über das mysteriöse Verschwinden von Kitty Cahoun vertrieben.«
    »Ja, was ist überhaupt aus ihr geworden?« sagte Otto ernst. Ein Ausdruck erbärmlicher Dummheit überflog sein Gesicht, als ihm klar wurde, was er gesagt hatte. Er
versuchte, es durch Lachen abzutun. »Eine erstaunliche und erbauliche Demonstration, wie der menschliche Geist funktioniert, nicht wahr?« sagte er. »Ich habe mich so daran
gewöhnt, an dich als Falloleen zu denken, Liebling.« Er wechselte das Thema. »Nun, jetzt wird der Maestro Abendessen kochen.« Er legte mir die Hand auf die Schulter.
»Ich muß darauf bestehen, daß Sie zum Essen hierbleiben. Hühnchen à la Krummbein, Spargelspitzen à la Krummbein, Kartoffeln à la ...«
    »Ich glaube, ich sollte das Abendessen kochen«, sagte Falloleen. »Höchste Zeit, daß die Braut ihre erste Mahlzeit bereitet.«
    »Kommt ja überhaupt nicht in Frage«, sagte Otto. »Ich möchte nicht, daß du wegen meines mangelnden Geschäftssinns leiden mußt. Das wäre ein
scheußliches Gefühl. Falloleen gehört nicht in eine Küche.«
    »Ich weiß was«, sagte Falloleen. »Wir machen beide Abendessen. Wäre das nicht urgemütlich, nur wir zwei?«
    »Nein, nein, nein, nein«, sagte Otto. »Ich möchte, daß alles eine Überraschung ist. Du bleibst mit J. P. Morgan hier unten, bis ich euch rufe. Heimlich in die
Küche kucken gilt nicht.«
    »Ich weigere mich, mir deshalb Sorgen zu machen«, sagte Otto, während er, Falloleen und ich das Abendbrotsgeschirr abräumten. »Wenn ich mir Sorgen
mache, kann ich nicht arbeiten, und wenn ich nicht arbeiten kann, kann ich kein Geld verdienen, um mich aus dieser Patsche freizukaufen.«
    »Wichtig ist, daß sich jemand Sorgen macht«, sagte ich, »und ich glaube, das bin ich. Ich werde euch Turteltauben hier oben im Treibhaus alleinlassen und mich an die
Arbeit machen.«
    »Der Mensch muß seine halbe Zeit als eins mit der Natur verbringen«, sagte Otto, »und die andere Hälfte mit sich selbst. Die meisten Häuser bieten nur ein
schwammig-schlammiges Mittelding.« Er packte mich am Ärmel. »Hören Sie zu. Rennen Sie nicht weg. Dann die Arbeit, erst ’s Vergnügen. Warum verbringen wir drei nicht
einfach einen angenehmen geselligen Abend, damit Sie uns kennenlernen können, und morgen können Sie dann anfangen, ganz hart zur Sache zu kommen?«
    »Das ist nett von Ihnen«, sagte ich. »Aber je schneller ich zum Arbeiten komme, desto schneller sind Sie aus der Bredouille. Außerdem ist Frischvermählten an ihrem
ersten Abend im trauten Heim nicht nach Besuch zumute.«
    »Himmel!« sagte Otto. »Wir sind doch keine Frischvermählten mehr.«
    »Doch«, sagte Falloleen schwach.
    »Natürlich sind Sie das«, sagte ich und öffnete meine Aktentasche. »Und Sie müssen sich furchtbar viel zu erzählen haben.«
    »Hm«, sagte Otto.
    Es folgte ein unbehagliches Schweigen, in dessen Verlauf Otto und Falloleen durch die gläsernen Wände in die Nacht hinausstarrten und es vermieden, einander anzusehen.
    »Hat Falloleen heute zum Abendessen einen Ohrring zuviel angelegt?« sagte Otto.
    »Mit nur einem kam ich mir schief vor«, sagte Falloleen.
    »Laß mich das beurteilen«, sagte Otto. »Was du nicht kapierst, ist das Gefühl der Gesamtkomposition –, hier ein ganz kleines bißchen aus dem
Gleichgewicht, aber siehe da, hier unten der perfekte Ausgleich.«
    »Damit Sie nicht kentern«, sagte ich und öffnete die Studiotür. »Viel Spaß.«
    »Es hat dich doch nicht regelrecht durchgerüttelt, Otto, oder?« sagte Falloleen schuldbewußt.
    Ich schloß die Tür.
    Das Studio war schallisoliert, und ich konnte nichts von der ersten traulichen Zweisamkeit der Krummbeins hören, als ich die Trümmer ihrer Finanzen durchsah.
    Einmal störte ich, mit einer langen Fragenliste, und oben war alles vollkommen ruhig, bis auf leise Musik vom Plattenspieler und das Rascheln üppiger, schwerer Stoffe. Falloleen drehte
sich in einer trägen Art von Ballett um sich selbst und trug dazu ein spektakuläres Abendkleid.

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