Der tausendfältige Gedanke
stellte harte Fragen, und der alte Gothyelk beschränkte seine Ausbrüche auf verärgertes Stöhnen. Nur Chinjosa schien unterm Tisch mit seinem Zahlenstock zu spielen. Gründe wurden gefordert und geliefert, Alternativen sondiert und kritisiert, und wie durch Zauberei schien sich der beste Weg von selbst zu eröffnen.
Prinz Hulwarga wurde die Ehre zuteil, die Vorhut zu führen, da man allgemein der Ansicht war, seine Thunyeri würden einen Überraschungsangriff der Fanim am besten überstehen. Pfalzgraf Chinjosa und seine Ainoni sollten mit Proyas und seinen Leuten aus Conriya das Hauptheer des Heiligen Kriegs stellen. Sie würden direkt auf Shimeh zuhalten und auf dem Marsch Nahrung und Belagerungsmaterial sammeln. Gotian und die Tempelritter sollten sie begleiten, um den Kriegerpropheten und das Sakrale Gefolge zu schützen. Graf Gothyelk und seine Leute aus Ce Tydonn sollten derweil Chargiddo umzingeln und einnehmen, eine Festung aus kyraneischer Zeit, die das südwestliche Grenzgebiet zwischen Amoteu und Xerash beherrschte.
Nicht einmal Kellhus schien die Pläne der Heiden zu kennen. Alle Berichte (vor allem die der Scharlachspitzen, die Chinjosa übermittelte) ließen vermuten, dass die Psukari – die Cishaurim also – Shimeh nicht verlassen würden. Also würde Fanayal entweder ihrem Vormarsch nach Amoteu entgegentreten oder sich in die Heilige Stadt zurückziehen. Auf jeden Fall würde er sich zum Kampf stellen. Vom Überleben der Cishaurim nämlich hing das Überleben von Kian ab. Zweifellos ging Fanayal bereits alle möglichen Wege durch, die Inrithi zu besiegen. Zwar mahnte Proyas zur Vorsicht, doch der Kriegerprophet blieb hart und verfügte, der Heilige Krieg müsse in aller Eile zuschlagen.
»Wir werden weniger, während sie zulegen«, erklärte er.
Mehrmals wagte Achamian, Esmenet anzusehen, die in seiner Nähe saß. Ein bedächtiger Amtsträger nach dem anderen kam, kniete neben ihr nieder, stellte Fragen oder gab Auskünfte und verschwand wieder. Insgesamt aber verfolgte sie die Diskussion aufmerksam. Achamian musterte die Nascenti in ihren weißen Gewändern, die gleich hinter dem Kriegerpropheten beisammenstanden, Werjau und Gayamakri vorneweg. Und langsam dämmerte ihm, wie seltsam es war, dass der Heilige Krieg, der anfangs kaum mehr als ein wanderndes Invasionsheer unter einem lärmenden Rat von Anführern gewesen war, sich in einen herrschaftlichen Hof verwandelt hatte. Das war kein Rat der Hohen und Niederen Herren mehr: Kellhus beriet sich bloß noch mit seinen Generälen. Sie alle wurden inzwischen… anders eingesetzt. Und wie beim Benjuka waren ihre Verhaltensregeln völlig neu geschrieben worden – wie die Regeln, die Achamian als Wesir eines Propheten zur Reglosigkeit zwangen…
Es war einfach nur lächerlich.
Als Kellhus die Beratung beendete, stand die Sonne schon niedrig über dem feuchten Land. Mit vor Hitze brummendem Kopf wartete Achamian die unerlässlichen Gebete und Beweihräucherungen ab. Das Zusammenwirken von Sonne und Tatenlosigkeit hatte in ihm den Wunsch geweckt zu schreien. Unsinnigerweise ließ ihn der Vogel, den er zuvor gesehen hatte, auf einen Angriff der Rathgeber hoffen. Alles war besser als diese… Inszenierung.
Als seien sich plötzlich alle einig geworden, war die Beratung unvermittelt vorbei. Entspannte Gespräche klangen durch die Ruinen. Achamian rieb sich den Nacken, ging zum Podium und setzte sich umstandslos auf eine der Stufen. Er spürte Esmenets Blick im Rücken, doch schon kamen adlige Inrithi das Podium hinauf, um ihr zu huldigen, und er war zu müde, um mehr zu tun, als sich mit seinen safrangelben Ärmeln den Schweiß vom Gesicht zu tupfen.
Eine Hand berührte ihn an der Schulter, als habe ihn jemand packen wollen, es sich aber anders überlegt. Achamian drehte sich um und erblickte Proyas. Mit seiner dunkelbraunen Haut und dem seidenen Khalat hätte er ein Prinz der Kianene sein können.
»Akka«, sagte er mit flüchtigem Nicken.
»Proyas.«
Beide waren sie einen Moment lang verlegen.
»Ich dachte, ich sage es dir besser«, begann Proyas mit sichtlichem Unbehagen. »Du solltest Xin besuchen.«
»Hat er Euch geschickt?«
Der Prinz schüttelte den Kopf. Nun, da sein Bart gewachsen und geflochten war, wirkte er fremd, viel reifer. »Er fragt nach dir«, sagte er wenig überzeugend. »Du solltest ihn besuchen kommen – «
»Ich kann nicht«, gab Achamian schärfer zurück, als ihm lieb war. »Nur ich stehe zwischen Kellhus und den
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