Der tausendfältige Gedanke
Laken boten, und schlang sie fest um sich. Sie blickte im Zimmer umher, dessen Einrichtung sie an ihre frühere Heimat denken ließ. Das Kaiserreich. Vor Jahrhunderten hatte irgendein Herr des Hauses gewiss genau hier mit seiner Frau oder einer Konkubine geschlafen und von Worten wie »Fanim« oder »Rathgeber« wunderbarerweise nichts gewusst. Das Wort »Kianene« hatte er womöglich gekannt, aber nur als Name irgendeines Wüstenvolks. Nicht nur Einzelne, auch ganze Zeitalter konnten, wie sie begriff, ahnungslos sein, was schreckliche Dinge anlangte.
Sie dachte an Serwë, und die ständige Besorgnis kehrte zurück.
Warum freute sie sich ihrer neuen Lebensumstände inzwischen kaum mehr? In ihrem alten Leben hatte sie oft Priester, die zu ihr kamen, ausgefragt und sich bei schlechter Laune sogar erdreistet, ihnen ihre Scheinheiligkeit zu demonstrieren. Einige, die vermutlich ohnehin nicht wiederkommen würden, hatte sie gefragt, was ihnen an ihrem Glauben fehlte, da sie Trost bei Huren fänden. »Kraft«, hatten manche geantwortet, und einige weinten sogar. Die meisten aber hatten bestritten, dass ihnen etwas fehlte.
Wie hätten sie auch unglücklich sein können, da Inri Sejenus sie zu seinen Dienern berufen hatte?
»Viele machen diesen Fehler«, sagte Kellhus. Er kniete auf der Bettkante nieder, und sein großer Schatten umgab sie. Sein Haarschopf wirkte wie mit Gold hinterlegt.
Blinzelnd sah sie ihn an. Bitte… schlaf noch mal mit mir.
»Sie denken, Kummer sei mit Glauben unvereinbar«, fuhr er fort. »Also beginnen sie zu heucheln. Sie handeln wie andere und meinen doch, als einzige Zweifel zu haben und schwach zu sein… In Gesellschaft glücklicher Menschen verzweifeln sie und machen sich für ihre Verzweiflung verantwortlich.«
»Aber ich habe dich«, murmelte sie. »Ich schlafe mit dir und trage dein Kind aus.«
Kellhus lächelte, beugte sich vor und küsste ihre Handfläche. »Ich bin die Antwort, Esmi, nicht das Heilmittel.«
Warum weinte sie? Was stimmte nicht mit ihr?
»Bitte«, sagte sie. »Bitte nimm mich.«
Was kann ich dir sonst schon geben?
»Mehr«, sagte er, zog die Laken zurück und legte eine dunkle Hand auf ihren Bauch. »Sehr viel mehr.«
Er sah sie lange traurig an. Dann verließ er sie, um sich von Achamian in die Geheimnisse der Gnosis einführen zu lassen.
Sie lag einige Zeit lang wach und lauschte den Zauberformeln, die undeutlich von nebenan in ihr Zimmer drangen. Als es noch dunkler wurde, weil die Kohlenbecken ausgingen, streckte sie sich nackt auf den Laken aus und schlummerte ein, wobei ihre Gedanken um traurige Dinge kreisten: um den Tod von Achamian und den ihrer Tochter Mimara.
»Zwischen Abwehrformeln ist leicht wandeln«, schnurrte eine Stimme, »wenn ihr Erzeuger andere Hexenkünste ausübt.«
Sie erwachte, aber nicht ganz. Blinzelnd sah sie einen anderen Mann an ihre Bettkante treten… Er war groß und trug einen schwarzen Umhang über dem versilberten Brustharnisch. Erleichtert stellte sie fest, dass er recht ansehnlich war. Es sah so aus, als käme sie doch noch auf ihre –
Sein Schatten hatte hakenförmige Flügel.
Sie fiel auf der anderen Seite aus dem Bett und wich an die Wand zurück.
»Kaum zu glauben«, sagte er, »dass ich zwölf Talente einst für eine Unverschämtheit gehalten habe.«
Sie wollte schreien, doch plötzlich war er da, drückte sich wie ein Liebhaber an sie und legte ihr die glatte Hand auf den Mund. Sie spürte sein steifes Glied. Als er ihr mit der Zunge ins Ohr fuhr, bebte sie in verräterischem Entzücken.
»Wie kann die gleiche Frau derart unterschiedliche Preise verlangen?«, keuchte er. »Lassen blaue Flecke sich einfach abspülen? Können Körpersäfte süß werden?« Seine freie Hand wanderte über ihren Leib, und sie spürte, wie erregt sie war, aber nicht aus Empörung, sondern vor Begehren… als sei ihr Verlangen formbar wie Lehm.
»Oder liegt es einfach im Ermessen der Verkäuferin?«
Feuer schien ihr den Atem geraubt zu haben. »Bitte!«, keuchte sie.
Nimm mich.
Bartstoppeln scheuerten die eingespeichelte Haut an ihren Ohren wund. Sie wusste, dass es nur Täuschung war, aber…
»Meine Kinder«, sagte er, »machen nur nach, was sie sehen…«
Sie wimmerte in seine Hand, die ihr die Luft nahm, und wollte sogar noch schreien, als ihre Beine schon unter seinen Fingern erschlafften.
»Ich aber«, murmelte er, und seine Stimme ließ ihre Haut prickeln, »ich nehme.«
12. Kapitel
AMOTEU
Der Tod
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