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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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meisten im Gebiet der Drei Meere glaubtest du, sie seien lange tot und nur eine Wahnvorstellung der Mandati. Doch die Geschichten, die du aus deinen Gefangenen herausgefoltert hast… es gab einfach zu viele übereinstimmende Details, als dass sie bloße Lügenmärchen hätten sein können.
    Je tiefer du bohrtest, desto beunruhigender wurde die Sache. Du hattest die Sagas gelesen und an ihrem Wahrheitsgehalt gezweifelt, da sie dir zu sonderbar vorkamen. Die Welt zerstören? Keine Bosheit konnte so groß, keine Seele so verwirrt sein. Was ließ sich schließlich dadurch gewinnen? Wer folgt schon einem Weg, der in den Abgrund führt?
    Doch die Hautkundschafter erklärten alles. Kreischend und heulend lehrten sie dich das Warum und Wofür der Apokalypse. Du hast erfahren, dass die Grenzen zwischen Welt und Jenseits nicht festliegen und sich die Welt – wenn man sie nur von genügend Seelen befreit – versiegeln lässt, und zwar gegen die Götter, gegen die Wonnen und Schrecken des Lebens nach dem Tode, gegen die Erlösung und – vor allem – gegen die Möglichkeit der Verdammnis.
    Du hast begriffen, dass die Rathgeber daran arbeiteten, ihre Seelen zu retten. Und wenn man deinen Gefangenen glauben konnte, waren sie dem Ende ihrer Jahrtausendaufgabe nah.«
    Im Dunkeln musterte Kellhus seinen Vater mit verschiedenen Sinnen. Er roch seine nackte Haut, spürte die Luftbewegungen, die sein Körper verursachte, und lauschte darauf, wie seine bloßen Füße durch die Finsternis schlurften.
    »Die Zweite Apokalypse«, sagte Moënghus schlicht.
    »Nur du kanntest ihr Geheimnis. Nur du konntest ihre Kundschafter aufspüren.«
    »Man muss sie aufhalten«, gab Moënghus zurück. »Zerstören.«
    »Also hast du darüber nachgegrübelt, was die Hautkundschafter dir erzählten, und Jahre in Wahrscheinlichkeitstrance verbracht.«
    Von Beginn an, seit seinem Abstieg von den Gletschern in die Wüsten von Kûniüri, hatte Kellhus über den Mann nachgedacht, der ihn nun durch diese dunklen Gänge führte. Er hatte ein Szenario nach dem anderen entworfen und war zahllosen Alternativen nachgegangen, die mit jeder Meile und jeder Einsicht an Bedeutung gewonnen oder verloren hatten.
    Ich bin hier, Vater. An dem Ort, den du für mich bereitet hast.
    »Du hast über das zu grübeln begonnen, was der Tausendfältige Gedanke werden sollte«, sagte Kellhus.
    »Ja«, antwortete Moënghus schlicht. Schon als er das sagte, spürte Kellhus, wie das Echo, die Gerüche und sogar die Temperatur sich veränderten. Der pechschwarze Gang hatte sich zu einer Art Gemach geweitet, in dem auch noch andere Wesen lebten und in dem schon viele Wesen gestorben waren.
    »Wir sind da«, sagte sein Vater.
    Unter schweren Wolken donnerten die Ritter aus Ce Tydonn über verbrannte Felder und abgeholzte Plantagen. Banner flatterten vor dem rauchenden Shimeh: die drei schwarzen Schilde von Nangael, der weiße Hirsch von Numaineiri, die roten Schwerter von Plaideöl und andere alte Wappen der Völker aus dem Norden. Unter dem schwarzgoldenen Zirkumfix galoppierte Lord Gothyelk, der Graf von Agansanor, vor ihnen her. Die Welt schien ein einziges Donnerrollen zu sein.
    Der Abstand verringerte sich. Immer mehr Fanim kletterten auf die steilen Ufer des Jeshimal und schlossen sich eilig den wimmelnden Formationen an. Schon gingen die ersten Pfeile auf die Inrithi nieder, doch waren es nur vereinzelte Salven, die harmlos an großen Drachenschilden abglitten oder in dicken Filzpolstern stecken blieben. Einige Pferde gingen wiehernd zu Boden und warfen ihre Reiter ab, doch der Rest teilte sich einfach um die Gestürzten und ritt weiter. Sporen ließen die Schlachtrösser noch schneller galoppieren. Lanzen wurden gesenkt. Langbärtige Krieger begannen, Gilgaöl – dem mächtigen Kriegsgott – brüllend ihre Verehrung zu bekunden.
    Nun stürmten die Heiden auf sie los – planlos zunächst wie Samen, der von blühenden Bäumen weht, dann en masse. Der ganze Horizont bewegte sich dunkel und vielfarbig. Einige Leute aus Ce Tydonn sahen für einen Moment die dreieckige Standarte von Cinganjehoi, dem berühmten Tiger von Eumarna.
    Mit verzerrtem Grinsen beugten sich die Männer des Stoßzahns über ihre Lanzen und schienen die Welt in den Grundfesten erschüttern zu wollen. »Shimeh!«, tönte der grauhaarige alte Graf, der ihnen voranpreschte, und bald riefen alle: »Shimeh!«
    Dann waren nur noch krachendes Holz und wiehernde Pferde, hackende Schwerter und niederfahrende

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