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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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war.
    Inzwischen hatte Graf Gothyelk seinen Rittern gestreckten Galopp befohlen und die zahlenmäßig weit stärkere Infanterie zurückgelassen. Als er aus dem Schatten des Aquädukts kam, erkannte er die Notlage sofort, denn Hunderte von Heiden hatten den Fluss bereits überquert und formierten sich auf den verbrannten Feldern. Gothyelk hob den Streitkolben und befahl seinen Landsleuten, sich zu formieren. Als er sah, dass auch die Grafen Iyengar, Damergal und Werijen Großherz aus dem Schatten des Aquädukts geritten kamen, stieß er einen Schrei aus und galoppierte Hals über Kopf auf das von Menschen wimmelnde Ufer des Jeshimal zu.
    Die Lehnsmänner und Ritter aus Ce Tydonn erwiderten seinen Streitruf nicht minder laut und setzten ihm nach.
     
     
    In völliger Dunkelheit schritten sie durch Gänge, die älter waren als der Stoßzahn. Ein Vater führte seinen Sohn.
    Das Donnern des Wasserfalls ließ nach und wurde so konturlos wie das Schwarz, das sie umgab. Ihr Schlurfen hallte von Wänden wider, die so voller Skulpturen waren wie die, an denen Kellhus beim Abstieg vorbeigekommen war. Er erzählte seinem Vater alles, was er über ihn geschlussfolgert hatte, blieb dabei aber allgemein. Die paar Einzelheiten, die er zu äußern wagte (und die vor allem Caniürs Manipulation durch Moënghus galten), sicherte er durch Wahrscheinlichkeitserwägungen ab.
    »Nach der Flucht von den Utemot hast du dich nach Süden und nicht nach Osten gewandt, denn das Swazond, das dir in der Steppe das Überleben ermöglicht hatte, hätte in Nansur deinen Tod bedeutet. So gelangtest du in die Länder der Fanim.
    Dort wurdest du zunächst eingesperrt. Zwar hegten die Fanim – anders als die Nansur – keinen tödlichen Hass auf die Scylvendi (die Schlacht von Zirkirta hatte noch nicht stattgefunden), hatten aber auch nichts für sie übrig. Du hast ihre Sprache erlernt und dann vorgegeben, ein Anhänger Fanes zu sein. Weil du lesen und schreiben konntest, war es leicht, diejenigen, die dich gefangen genommen hatten, dazu zu bringen, dich als Sklaven zu verkaufen, und du hast einen respektablen Preis erzielt.
    Bald darauf wurdest du befreit, denn die Zuneigung, die du in deinen Herren erwecktest, wurde rasch zu Ehrfurcht. Nicht einmal die Priester der Fanim konnten es mit dir aufnehmen, was die Beherrschung des Pillai-a-fan oder anderer Nebenschriften anlangte, die du aufzutreiben vermochtest. Diejenigen, die dich einst geschlagen hatten, baten dich nun inständig, nach Shimeh zu reisen – zu den Cishaurim, deren Machtfülle weit jenseits dessen lag, was die Dunyain sich vorgestellt hatten.«
    Sie machten fünf Schritte. Kellhus nahm wahr, wie das Wasser auf der Haut seines Vaters trocknete.
    »Meine Schlussfolgerung war berechtigt«, sagte Moënghus aus dem Dunkel vor ihm.
    »Stimmt. Wir überragen die Menschen. Sie sind weniger als Kinder für uns. Egal, ob es um ihre Philosophie, ihre Medizin, ihre Dichtkunst oder sogar ihren Glauben geht – stets sehen wir tiefer und sind ihnen daher überlegen.
    Also hast du angenommen, das werde auch so bleiben, wenn du Wasserträger würdest. Du dachtest, einer der Indara-Kishauri zu werden, würde dich im Vergleich zu ihnen zu einer Art Gott machen. Und da die Cishaurim die Metaphysik ihrer Hexenkunst kaum verstehen, war nichts in Erfahrung zu bringen, was dieser Annahme entgegengestanden hätte. Du konntest nicht wissen, dass die Psukhe eine Metaphysik des Herzens, keine des Verstandes ist – eine Metaphysik der Leidenschaft…
    Also hast du dich von den Cishaurim blenden lassen, musstest aber feststellen, dass deine Kräfte nur deinen rudimentären Leidenschaften entsprachen. Was du für den Kürzesten Weg gehalten hattest, war in Wirklichkeit eine Sackgasse.«
    Die Luft zitterte im Rhythmus hämmernder Trommeln.
    Hoch über den Trümmern der Stadt schwebten die zu Wächtern berufenen Ordensleute der Scharlachspitzen. Rauchfahnen wehten zwischen ihnen, Feuerstürme wüteten unter ihren Füßen, und schwarze Wolken wirbelten über ihnen. Nur mit Mühe konnten sie die Einheiten ihrer Ordensbrüder erkennen, die sich weit vorn in der zerstörten Stadtlandschaft verteilt hatten. Sie spürten die Chorae, ehe sie die ersten Thesji-Bogenschützen sahen. Die tödlichen Tränen Gottes strichen wie Geister übers Trümmerfeld unter ihnen. Warnrufe gingen hin und her, aber niemand wusste, was zu tun war. Seit den Ordenskriegen hatten die Scharlachspitzen keine solche Schlacht mehr geschlagen.
    Es

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