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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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täuschen.« Das steinerne Gesicht hielt inne. »Es sei denn…«
    »Es sei denn«, sagte Kellhus, »ich wäre gekommen, um dich zu töten, wie unsere Dunyain-Brüder es verfügt haben… Ist das deine Befürchtung?«
    Genaue Prüfung. Berechnung.
    »Du bist nicht stark genug, mich zu besiegen.«
    »Aber natürlich bin ich das, Vater.«
    Wieder entstand eine Pause, die diesmal unmerklich länger war.
    »Woher«, fragte Moënghus schließlich, »willst du das wissen?«
    »Nun, ich weiß, warum du gezwungen warst, mich zu rufen.«
    Genaue Prüfung. Berechnung.
    »Also hast du ihn erfasst?«
    »Ja, ich habe den Tausendfältigen Gedanken erfasst.«



16. Kapitel
     
    SHIMEH
     
     
     
    Zweifel bringt Einsicht hervor und Einsicht Mitgefühl Wahrlich – was tötet, ist Überzeugung
     
    Parcis: Die neuen Analysen
     
     
     
    SHIMEH, FRÜHLING 4112
     
    Öliges Fackellicht. In Orange getauchte Gesichter, die vor Angst ausdruckslos wirkten. Orangefarbene, mit Abfällen beschmierte Ziegelmauern. Gewölbte Decken, die so niedrig waren, dass sich selbst kleinste Bogenschützen bücken mussten. Die Männer husteten, einige ohne Unterlass, aber nicht wegen der Abwässer, die ihre Stiefel durchweichten, sondern wegen der Feuer über ihnen, die den Sauerstoff verbrannten…
    Das jedenfalls hatte der Wasserträger gesagt.
    Der Cishaurim stand unter dem Ausgang. Um seinen Hals wanden sich Nattern, die mit daumengroßen, silbrig schwarzen Köpfen aufwärts spähten. Die Götzendiener waren verstummt. Durch das Gewölbe dröhnten keine Einschläge und Explosionen mehr, und kein Mörtel rieselte mehr auf ihre Helme.
    Der Ordensmann legte den kahlrasierten Kopf schief, als würde er lauschen…
    »Löscht das Licht«, befahl er. »Bedeckt eure Augen.«
    Sie ließen die Fackeln ins Schmutzwasser fallen. Einen Moment lang flackerten ihre Waden in blauem Licht. Dann wurde alles schwarz… und sogleich unglaublich hell. Krachendes Donnern folgte.
    »Los!«, rief der Wasserträger. »Klettert hoch!«
    Auf einmal war alles blau. Das Licht kam von einem münzgroßen, weißglühenden Kreis auf der Stirn des Wasserträgers. Sie drängten vorwärts. Wegen des Staubs mussten sie ständig ausspucken. Nacheinander schoben sie sich an dem Blinden vorbei, kämpften sich einen glühenden Trümmerhang hinauf und hetzten durch brennende Ruinen.
     
     
    »Die Stimme, die du vernimmst«, sagte der alte Dunyain, »gehört nicht dem Tausendfältigen Gedanken an.«
    Kellhus schenkte diesen Worten keine Beachtung. »Bring mich zu ihnen.«
    »Zu wem?«
    »Zu denen, die du gefangen hältst.«
    »Und wenn ich mich weigere?«
    »Warum solltest du das tun?«
    »Um meine Annahmen zu revidieren und die neue Entwicklung zu prüfen. Ich hatte diese Möglichkeit unberücksichtigt gelassen.«
    »Welche Möglichkeit?«
    »Dass die Wildnis dich nicht erleuchten, sondern brechen würde und du als Verrückter zu mir kommst.«
    Das Dröhnen des endlos strömenden Wassers verstärkte noch den Eindruck von Schicksalhaftigkeit.
    »Verweigere mir etwas, und ich töte dich, Vater.«
     
     
    Weit vorgebeugt galoppierten die Kianene von den Trümmern des Tantanah-Tors zum Jeshimal. Ihre vielfarbigen Khalats schlugen gegen ihre Kettenhemden. Anfangs waren es nur wenige Dutzend, dann Hunderte, die pfeilförmig heranströmten. Zudem kamen Reiter aus dem Jeshimal-Tor, das der Flanke der Ainoni sehr nahe lag.
    Die Hornisten aus Ce Tydonn, die die Fanim vom Azoreah-Heiligtum aus deutlich sahen, stießen Warnsignal um Warnsignal aus, doch der alte Graf von Agansanor zockelte weiter vorwärts. Zwar sah er eine große Wolke aus den ferner gelegenen Bezirken der Stadt aufsteigen, doch die zum Teil eingestürzten Bögen des Skilura-Aquädukts nahmen ihm die Sicht. Als die Hörner immer weiter tönten, sandte er fluchend seine Späher aus.
    Doch es war schon zu spät.
    Die ersten Kianene erreichten den Jeshimal und begannen, die Übergänge zu sichern. Den Bläsern am Heiligtum kam es vor, als sei Shimeh zur Seite gekippt worden, auf dass der Krieg selbst aus der Stadt herausströme. Bald galoppierten Reiterscharen, die zahlenmäßig viel stärker waren als die Männer aus Ce Tydonn, über die Shairizor-Ebene. Einige der Mastodonten, die die eingestürzte Mauer als Erste überquert hatten, stampften nun mit den Holzflößen, die den Pferden als Pfad über die Trümmer gedient hatten, hinterdrein. Die Hornisten sahen deutlicher als alle anderen, wie raffiniert der Plan des Padirajah

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