Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
wir… Unser Fuß steht auf dem Nacken des Feindes.«
    »Ich habe mit Sarothenes geredet«, sagte Iyokus unbeeindruckt, »und mit Inrûmmi…«
    Eleäzaras seufzte rührselig. »Dann weißt du ja Bescheid.«
    »Ich gestehe, dass ich es kaum glauben kann.«
    »Glaub es. Die Rathgeber sind Realität. Die ganze Zeit haben wir uns über die Mandati lustig gemacht – dabei waren wir die Narren.«
    Ein langes, vorwurfsvolles Schweigen folgte. Iyokus hatte ihm immer gesagt, er solle die Behauptungen der Mandati ernster nehmen. Es schien so offensichtlich… jetzt. Alles, was sie über die Psukhe wussten, deutete darauf hin, dass sie ein stumpfes und viel zu unhandliches Werkzeug war, um so etwas wie diese… Dämonen zu gestalten.
    Cepheramunni! Sarcellus!
    Vor seinem inneren Auge sah er den Scylvendi blutüberströmt und prächtig den gesichtslosen Kopf in die Höhe stemmen, damit alle ihn sahen. Wie hatte die Menge gegrölt!
    »Und was ist mit Prinz Kellhus?«, fragte Iyokus.
    »Er ist ein Prophet«, sagte Eleäzaras leise. Er hatte ihn beobachtet, nachdem sie ihn vom Zirkumfix geschnitten hatten, und gesehen, wie Kellhus sich in die Brust fasste und sein Herz herauszog.
    Ein Trick… das kann nur ein Trick gewesen sein!
    »Eli«, sagte Iyokus, »sicher ist dieser…«
    »Ich habe persönlich mit ihm gesprochen«, unterbrach ihn der Hochmeister, »und zwar ziemlich lange – er ist ein wahrer Prophet Gottes, Iyokus… Und du und ich, wir sind so gut wie verdammt.« Er sah seinen Geheimdienstchef mit schmerzerfüllter Heiterkeit an. »Noch ein kleiner Scherz, bei dem wir uns auf der falschen Seite befinden dürften…«
    »Bitte«, rief Iyokus. »Wie konntet Ihr – «
    »Oh, ich weiß. Er sieht Dinge… Dinge, die nur Gott sieht.« Mit ausgreifender Handbewegung nahm er eine Keramikkaraffe und schüttelte sie, um zu hören, ob noch Wein darin schwappte. Sie war leer. »Er hat es mir gezeigt«, sagte er, zerschmetterte die Karaffe an der Wand und grinste. Seine Unterlippe war so schwer, dass sie ihm den Mund aufzog. »Er hat mir gezeigt, wer ich bin. Du kennst doch die kleinen Gedanken und halbbewussten Dinge, die einem wie Ungeziefer durch die Seele huschen? Er fängt sie alle, Iyokus, und hält sie zappelnd in die Luft. Dann gibt er ihnen Namen und erklärt dir, was sie bedeuten.« Er wandte sich wieder ab. »Er sieht deine Geheimnisse.«
    »Was für Geheimnisse denn? Was redet Ihr da, Eli?«
    »Oh, du brauchst dir keine Sorgen zu machen: Die dunklen Flecken deines Privatlebens interessieren ihn nicht. Ihm geht es um die Geheimnisse, die du vor dir selbst verbirgst, Iyokus. Er sieht…« Plötzlich schnürte ihm Beklommenheit die Kehle zu, und er musste Iyokus ansehen und lachen. Tränen liefen ihm über die Wangen. »Er sieht, was dir das Herz bricht.« Seine Stimme versagte.
    Du hast deinen Orden dem Untergang geweiht.
    »Ihr seid betrunken«, sagte der Chanvsüchtige so entnervt wie angewidert.
    Eleäzaras machte eine gezierte Handbewegung. »Geh und sprich selbst mit ihm. Er wird unter deiner Haut mehr als mariniertes Fleisch entdecken. Du wirst sehen…«
    Er hörte, wie Iyokus schnaubte und beim Hinausgehen eine Metallschale beiseite trat.
    Der Hochmeister der Scharlachspitzen legte sich auf sein Sofa, wandte sich wieder dem im Nachmittagsdunst liegenden Fama-Palast zu und betrachtete das Netz der Mauern, Terrassen und Säulengänge, den schwachen Rauch, der von den Küchen aufstieg, und die Grüppchen ferner Büßer, die durch die Tore schritten.
    Er ist irgendwo dort drin.
    »Ach ja, und Iyokus?«, rief er unvermittelt.
    »Was denn?«
    »An deiner Stelle würde ich mich vor dem Ordensmann der Mandati hüten.« Abwesend tastete er auf dem Beistelltisch nach Wein oder etwas Ähnlichem herum. »Ich glaube, er will dich töten.«



3. Kapitel
     
    CARASKAND
     
     
     
    Wenn Ruß deinen Kittel beschmutzt, färbe ihn schwarz. Das ist Vergeltung.
     
    Aus den Briefen des Ekyannus
     
     
    Hier finden wir einen weiteren Beweis für Gotaggas Hypothese, die Erde sei rund. Wie anders nämlich könnten alle Männer höher stehen als ihre Brüder?
     
    Ajencis: Abhandlung über den Krieg
     
     
     
    CARASKAND, VORFRÜHLING 4112
     
    Die Trockenzeit – in der Steppe verriet sie ihr Kommen durch das Auftauchen der Lanze unter den Sternbildern am nördlichen Horizont, dadurch, wie rasch die Milch sauer wurde, und durch die ersten Vorboten des Caünnu, des Mittsommerwinds.
    Zu Beginn der Regenzeit durchstreiften die Hirten

Weitere Kostenlose Bücher