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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Eleäzaras seinen Freund und wusste, dass er eine viel größere Dunkelheit in den Armen hielt. »Sch, sch…«
    »Eli«, keuchte der Geheimdienstchef zitternd und schluchzend. Seine Qual schien nachzulassen. »Eli!«
    »Sch, Iyokus. Erinnerst du dich, was es heißt zu sehen?«
    Der Süchtige erschauderte. Sein durchscheinender Kopf rollte in trunkenem Nicken. Blut strömte aus den Leinenverbänden und hinterließ dunkle Spuren auf seinen durchsichtigen Wangen.
    »Die Worte«, stieß Eleäzaras hervor. »Erinnerst du dich der Worte?«
    In der Hexenkunst hing alles von der Reinheit der Bedeutungen ab. Und wer wusste, was eine Blendung anrichten konnte?
    »Ja.«
    »Dann bist du unversehrt.«



4. Kapitel
     
    ENATHPANEAH
     
     
     
    Wie ein strenger Vater bringt der Krieg die Menschen dazu, ihre Kindheitsspiele zu hassen.
     
    Protathis: Hundert Himmel
     
     
    Ich kehrte von jenem Feldzug völlig verändert zurück. Das jedenfalls hat meine Mutter ständig beklagt. »Jetzt können allenfalls die Toten deinem Blick standhalten«, sagte sie immer wieder.
     
    Triamis I.: Tagebücher und Dialoge
     
     
     
    MOMEMN, VORFRÜHLING 4112
     
    Vielleicht, sinnierte Ikurei Xerius III. würde es ein Abend der Süßspeisen werden.
    Von den Kaiserlichen Gemächern auf den Andiamin-Höhen aus glich das Meneanor-Meer einem riesigen, im Mondschein glitzernden Teller. Xerius erinnerte sich kaum, es je so übernatürlich ruhig gesehen zu haben. Er überlegte, seinen Auguren Arithmeas kommen zu lassen, verwarf diese Idee aber, und zwar mehr aus Überheblichkeit denn aus Großmut. Der Kerl war ein kriecherischer Scharlatan – wie alle anderen. Wie seine Mutter so gern sagte: Jeder war letztlich ein Kundschafter und Vertreter entgegengesetzter Interessen. Jedes Gesicht bestand aus Fingern…
    Wie das von Skeaös.
    Obwohl ihn schwindelte, lehnte Xerius an der Balustrade und hielt Ausschau. Da es kühl war, hatte er sich fest in einen fein gekämmten Wollumhang aus Galeoth gehüllt. Wie immer zog es seinen Blick nach Süden, zu den dunklen Buchten der Küste. Dort draußen lagen Shimeh – und Conphas. Es schien seltsam abwegig, dass Männer Pläne schmiedeten und kämpften, ohne dass er es sehen oder davon erfahren konnte. Abwegig und erschreckend.
    Er hörte, wie sich von hinten jemand in Sandalen näherte.
    »Gottgleicher Kaiser«, sagte Skala, der neue Hauptmann seiner Garde, leise. »Die Kaiserin möchte Euch sprechen.«
    Beim Ausatmen stellte Xerius erstaunt fest, dass er den Atem angehalten hatte. Er drehte sich um und sah dem hünenhaften Mann aus Cepalor ins Gesicht, das – je nach Beleuchtung – hässlich oder hübsch wirken konnte. Sein blonder Schopf fiel ihm auf die Schultern und war mit silbernen Haarbändern zu Zöpfen gebunden, was ihn als Mitglied irgendeines Stammes auswies. Skala war nicht gerade eine Zierde der Garde, hatte sich aber seit Gaenkeltis Tod als fähiger Ersatz erwiesen.
    Seit der entsetzlichen Nacht mit dem Hexenmeister der Mandati.
    »Bring sie rein.«
    Er leerte seine Schale mit Rotwein aus Anplei und warf sie in hohem Bogen gen Süden, als unterstellte er der Ferne, etwas anderes zu sein als sie vorgab. Warum sollte er nicht misstrauisch sein? Die Philosophen sagten schließlich, diese Welt sei nur Rauch. Er aber war das Feuer.
    Er sah die sich überschlagende Goldschale im Dunkel der tiefer gelegenen Teile des Palasts verschwinden. Das schwache Klirren ließ ihn lächeln. Wie sehr er diese Dinge verachtete!
    »Skala?«, rief er seinem Hauptmann nach.
    »Ja, gottgleicher Kaiser?«
    »Ein Sklave wird sie stehlen… diese Schale.«
    »Allerdings, gottgleicher Kaiser.«
    »Lass ihn auspeitschen – egal, wer es ist.«
    Skala nickte ausdruckslos und wandte sich den golden schimmernden Kaiserlichen Gemächern zu. Xerius folgte ihm, musste sich Mühe geben, nicht zu schwanken, und befahl den Gardisten, die ihn begleiteten, die Türen zu schließen und die Vorhänge zuzuziehen. Außer dem glatten Meer und dem endlosen Sternenhimmel gab es da draußen nichts zu sehen, gar nichts.
    Er blieb am nächsten Dreifuß stehen und wärmte sich über den Flammen die Finger. Seine Mutter kam bereits die Stufen von den unteren Gemächern herauf Xerius merkte, dass er die Daumen umklammert hielt, und versuchte, seine Sentimentalität loszuwerden. Nur klarer Verstand vermochte ihn, wie er vor langer Zeit gelernt hatte, vor Ikurei Istriya zu schützen.
    Er sah von der Treppe weg, betrachtete die mit Wandteppichen

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