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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Taten mit Annahmen, endlosen Annahmen – bei ihrem schweifenden Hunger nach Bedeutung konnten sie nicht anders. Von Anfang an hatte Cnaiür ihre Reise als eine Jagd betrachtet, als Absprache unter Feinden, die einen größeren Widersacher verfolgten. Ihre Suche hatte einem ins Dunkle geschossenen Pfeil geglichen. So groß seine Bedenken auch waren: Stets war er auf diese Einsicht zurückgekommen. Inzwischen aber kam sie ihm nur noch wie ein Halsband vor; inzwischen schienen Moënghus und Kellhus, Vater und Sohn, nur die Enden eines mächtigen Rings zu sein, den er, Cnaiür von Skiötha, der Welt umgelegt hatte – das Halsband eines Sklavenhändlers.
    Etwas… etwas…
    Er musterte Tirnemus und Sanumnis, wann immer sich Gelegenheit dazu bot, und kam rasch zu dem Schluss, dass Baron Tirnemus ein Schwachkopf war, dem es vor allem darum ging, sich den Bauch wieder anzufressen, den er in Caraskand verloren hatte. Sanumnis dagegen war so schlau wie verschwiegen und hatte einen offenkundigen, aber unerklärlichen Einfluss auf seinen dicken Landsmann. Er war ein Beobachter.
    Hatten sie geheime Befehle, die den einen zum Vorgesetzten des anderen machten? Das würde erklären, warum Tirnemus sich fügte und warum Sanumnis beobachtete. Was wäre die Strafe für die Ermordung des einzigen Erben des Kaiserreichs Nansur? Dafür, dem feierlichen Gelübde des Kriegerpropheten zuwiderzuhandeln?
    Ich wurde hierher geschickt, damit ich mich umbringe – dieser Gedanke ließ Cnaiür kichern. Kein Wunder, dass Proyas so entnervt gewesen war, als er die tödlichen Anweisungen des Dunyain weitergeleitet hatte.
    Dass ihm ein Ordensmann zugeteilt worden war, erhärtete Cnaiürs Verdacht nur. Er hieß Saurnemmi, war ein junges Mitglied der Scharlachspitzen und hatte den chronischen Husten eines Todgeweihten. Er war einen Tag nach Conphas in Begleitung von Inrummi angekommen, einem Hexenmeister, der – kaum hatte er das Quartier seines Schülers inspiziert – ohne Erklärung wieder abgereist war und Cnaiür lediglich gesagt hatte, Saurnemmi werde sein Verbindungsmann zum Heiligen Krieg sein. »Der Junge«, wie der aufgeblasene Narr ihn genannt hatte, solle stets bis zum Mittag schlafen, damit sie sich in Hexenmeisterträumen unterhalten konnten. Saurnemmi sollte also das Auge des Dûnyain in Joktha sein.
    Untiefen! Wohin er sich auch wandte: Überall lauerten unberechenbare und unergründliche Untiefen!
    Weil er die Anwesenheit von Saurnemmi als Provokation empfand, wies Cnaiür Tirnemus an, Conphas und seinen Stab im Audienzsaal des Donjon-Palasts zu versammeln, in der Zitadelle also, die der Utemot zu seinem Hauptquartier gemacht hatte. Er hieß den jungen Hexenmeister, ihre Gefangenen vom Balkon aus genau zu beobachten. Kaum waren Conphas und seine Männer versammelt, schritt Cnaiür zwischen sie, starrte mal dem, mal jenem direkt ins Gesicht und genoss ihr Erbleichen. Die Nansur waren ein ungemein durchschaubarer Abschaum: als bewaffnete Truppen übertrieben mutig, ansonsten aber katzbuckelnde Feiglinge.
    Er umkreiste Conphas, der in voller Uniform stocksteif dastand. »Ihr seht eure Brüder auf meinen Armen«, erklärte Cnaiür den anderen. »Eure Frauen…« Er spuckte dem Nächststehenden vor die Füße. »Wie muss es euch erzürnen, dass – «
    »Wie viele deiner Brüder«, rief Conphas, »trage ich auf – «
    Cnaiür schlug ihn. Der Oberbefehlshaber der Nansur wurde nach hinten geworfen und stolperte zu Boden. Cnaiür fuhr beim Klappern von Sandalen blitzschnell herum und packte ein Handgelenk, das auf ihn niederfuhr. Er griff den Angreifer beim Brustharnisch und ließ dessen Gesicht gegen seine Stirn krachen. Der Dolch, den der Narr versteckt hatte, klirrte über die glänzenden Fliesen.
    Diese Hunde mussten gebrochen werden! Gebrochen!
    Schwerterzücken erklang. Die von Tirnemus befehligten Leute aus Conriya umgaben ihn plötzlich mit gezogenen Waffen. Die Nansur wichen aschfahl zurück. Einige riefen nach Conphas, der sich auf alle viere erhoben hatte und Blut spuckte.
    »Macht keinen Fehler«, brüllte Cnaiür über ihr Geschrei hinweg, »sonst werdet ihr mich kennenlernen!« Er setzte dem Mann, der zu seinen Füßen zuckte, einen Stiefel auf den Kopf. Der Unglückliche erstarrte. Blut lief durch die Rillen zwischen den Fliesen.
    Nach einem Moment erschlaffter Stille hob Cnaiür die großen, mit Narbenbändern geschmückten Arme und sagte: »Lasst mich nicht zur Grabplatte eurer Torheit werden!«
    Er konnte sie beinahe

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