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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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verändert habe. Ich versichere dir: Alles hat sich verändert. Du glaubst dich verborgen, bist es aber nicht. Wahrscheinlich weiß er bereits, dass du auf mich zugekommen bist. Vermutlich kennt er deine Ziele und Mittel schon.«
    Cnaiür begriff, dass selbst die alten Dinge das Schicksal des Heiligen Kriegs teilen würden. Der Dunyain würde sie zerlegen, wie die Scylvendi Bisons zerlegten: Fleisch zum Essen, Fett für Seife und Brennstoff, Knochen für Werkzeug, Haut für Schutz und Schilde. So lange die Zeitalter auch gewährt hatten – sie würden vernichtet werden. Der Dûnyain war etwas Neues. Etwas fortwährend Neues.
    Wie Lust oder Hunger.
    »Du musst die alten Wege verlassen, Vogel, und dich auf pfadloses Gelände wagen. Die primitiven Umstände musst du ihm überlassen, denn darin kannst du dich nicht mit ihm messen. Stattdessen musst du beobachten. Und warten. Du musst ein Gespür für die Gelegenheit entwickeln.«
    »Welche Gelegenheit meinst du?«
    Cnaiür streckte die vernarbte Faust aus. »Die Gelegenheit, Anasûrimbor Kellhus zu töten, solange du das noch kannst!«
    »Er ist nur eine Randfigur«, krähte der Vogel. »Solange er den Heiligen Krieg nach Shimeh führt, handelt er in unserem Sinn.«
    »Dummkopf!«, rief Cnaiür und kicherte höhnisch.
    Der Vogel schlug zornig mit den Schwingen. »Weißt du nicht, wer ich bin?«
    Bilder leuchteten in den Pfützen rund um Cnaiür auf: Sranc rannten durch feuervergoldete Straßen, Drachen stiegen in schaurige Himmel auf, Menschenköpfe rauchten an Bronzeringen, ein Ungeheuer mit gewaltigen Flügeln… Funkelnde Augen und leuchtendes Fleisch überall.
    »Sieh es dir an!«
    Doch Cnaiür hielt sein Chorum fest in der Faust und ließ sich nicht einschüchtern. »Hexenkunst?«, fragte er lachend. »Das ist Wasser auf meine Mühlen! Während wir hier reden, erlernt er die Hexenkunst!«
    Die Bilder verschwanden, nur der Vogel blieb. Sein menschlicher Kopf glänzte weiß im Mondlicht.
    »Der Ordensmann der Mandati«, sagte Cnaiür zur Erklärung. »Er lehrt ihn…«
    »Dazu wird er Jahre brauchen, du Narr…«
    Trotz des bizarren Missverhältnisses zwischen dem Geschöpf, das da vor ihm saß, und der Aura von Macht, die es umgab, brachte Cnaiür ein bekümmertes Kopfschütteln zustande. Mitleid mit den Mächtigen – erlangte man dadurch nicht Größe?
    »Du vergisst eines, Vogel – er hat die Sprache meines Volkes in vier Tagen erlernt.«
     
     
    Er kniete nackt in seiner Unterkunft und regte sich nicht, obwohl er Schritte nahen hörte. Er war Ikurei Conphas I. Und obwohl er keine andere Wahl hatte, als das unsinnige Theater mit dem Scylvendi fortzusetzen – denn das Überraschungsmoment garantierte seit jeher den Sieg –, waren seine Untergebenen doch eine ganz andere Angelegenheit. Endlich waren die Tage vorbei, da er seine Worte zensieren und seinem Handeln Einhalt hatte bieten müssen. Die Kundschafter seines Onkels waren nun seine eigenen Kundschafter, und er wusste genau, wie weit die Strahlkraft seines Aufstands reichte.
    »Der Hochmeister der Kaiserlichen Ordensleute ist angekommen«, sagte Sompas aus dem Dunkel hinter ihm.
    »Nur Cememketri?«, fragte Conphas. »Sonst niemand?«
    »Ihr habt es ausdrücklich so befohlen, gottgleicher Kaiser.« Conphas lächelte. »Warte mit ihm. Ich komme gleich.« Nie hatte er so verzweifelt nach Informationen gelechzt. Sein Verlangen war so heftig, dass er es unter Kontrolle bringen musste. Das stärkste Begehren durfte stets zuletzt gestillt werden. An der kaiserlichen Tafel musste Disziplin herrschen.
    Als der General gegangen war, rief er ins Halbdunkel, und ein nacktes Mädchen der Kianene schlich mit angstgeweiteten Augen heran. Conphas klopfte auf den Teppich und sah ungerührt zu, wie das Mädchen mit gespreizten Schenkeln vor ihm in Stellung ging. Er hob seinen karierten Faltenrock, kniete sich zwischen ihre orangefarbenen Beine und musste sie nur einmal schlagen, bevor sie wusste, wie man den Spiegel ruhig hielt. Als er aber anfing, sich an ihr zu schaffen zu machen, kam ihm eine viel bessere Idee, und er befahl ihr, den Spiegel so vor sein Gesicht zu halten, dass sie ihr Spiegelbild sah.
    »Sieh dir zu«, gurrte er. »Sieh dir zu, und der Genuss wird kommen… Das schwöre ich dir.«
    Das kalte Spiegelsilber an der Wange fachte sein Begehren nur noch mehr an, und sie kamen – so sehr das Mädchen sich auch schämte – gemeinsam zum Höhepunkt.
    Conphas beschloss, ein ganz anderer Kaiser zu sein als sein

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