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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Onkel.
    Sieben Tage waren seit dem Treffen mit Fanayal vergangen, und noch immer konnte er es nicht recht begreifen. Nicht, dass Conphas sich um Vorzeichen sorgte – er hatte seinen Onkel viel zu lange an diesem Haken zappeln sehen –, doch er konnte nicht umhin, die Umstände seiner Amtseinführung zu bedauern: Den Kaisermantel von Nansur als Gefangener eines Scylvendi zu erlangen! Und die Nachricht von einem Kianene zu erfahren – noch dazu vom Padirajah! Obwohl die Erniedrigung ihm nichts bedeutete, war die Ironie doch zu beißend, um nicht nach den Göttern zu riechen. Vielleicht war seine Kerze niedergebrannt? Vielleicht beneideten sie ihre Brüder tatsächlich?
    Vom richtigen Zeitpunkt jedenfalls konnte ganz und gar nicht die Rede sein.
    Momemn war sehr wahrscheinlich in Aufruhr. Fanayals Quellen zufolge hatte Ngarau, der Seneschall seines Onkels, die Dinge in die Hand genommen, um sich bei Conphas’ Rückkehr dessen Gunst zu sichern. Fanayal hatte nachdrücklich erklärt, seine Thronfolge sei sicher: Niemand auf den Andiamin-Höhen oder anderswo werde es wagen, gegen den Löwen vom Kiyuth aufzubegehren. Und obwohl seine Eitelkeit ihm versicherte, dass es der Wahrheit entsprach, konnte Conphas nicht darüber hinwegsehen, dass der frisch gesalbte Padirajah ihn genau dies glauben machen musste. Obwohl der Heilige Krieg von Nenciphon und dem Palast der Weißen Sonne weit entfernt war, stand Kian am Rand des Abgrunds. Und falls Conphas nach Momemn eilte, um seinen Anspruch zu sichern, war Fanayal verloren.
    Welcher Sohn der Salzwüste würde nicht alles behaupten, um sein Land zu retten?
    Zweierlei hatte ihn überzeugt, in Joktha zu bleiben und die Posse mit dem Scylvendi fortzusetzen: die Vorstellung, Khemema erneut durchqueren zu müssen, und die Tatsache, dass es – laut Fanayal – seine Großmutter gewesen war, die Xerius getötet hatte. So verrückt dieser Gedanke auch sein mochte und so sehr Fanayals Beteuerungen sein Misstrauen erregt hatten: Er wusste, dass es sich genau so ereignet haben musste. Jahre zuvor hatte sie ihren Gatten getötet, um ihren geliebten Sohn einzusetzen. Und nun hatte sie ihren Sohn getötet, um ihren geliebten Enkel einzusetzen.
    Und um ihn – was vielleicht noch wichtiger war – nach Hause zu holen.
    Von Anfang an war Istriya vor der Idee zurückgeschreckt, den Heiligen Krieg zu verraten. Conphas hatte ihr das verziehen, weil er wusste, dass alte Leute Augen für wachsende Schatten hatten. Wer denkt bei der Abenddämmerung nicht auch an die Morgendämmerung? Die Stärke ihrer Abneigung allerdings hatte ihm Sorgen bereitet. Krallen wie ihre wurden im Alter nicht brüchig, wie sein Onkel offenbar zu spüren bekommen hatte.
    Dieser Mord entsprach voll und ganz ihrem Charakter. Hündische Gier war schon immer der Haken gewesen, an dem all ihre Beweggründe hingen. Sie hatte Xerius nicht um des Heiligen Kriegs willen, sondern um ihrer kostbaren Seele willen ermordet. Conphas schnaubte verächtlich, als dieser Gedanke ihm durch den Kopf fuhr. Seine Großmutter war wirklich abgrundtief böse!
    Aber ohne Berichte, die diese Gedanken und Sorgen bestätigten, konnten sie unbehelligt kreisen, und dass so ungeheuer viel auf dem Spiel stand und alles so unwirklich war, beschleunigte den Wirbel nur. Ich bin Kaiser, dachte er immer wieder. Kaiser! Aber nach Lage der Dinge war er weit mehr ein Gefangener seiner Unkenntnis als ein Gefangener des Scylvendi. Und da Darastius – sein Rufer von den Kaiserlichen Ordensleuten – tot war, ließ sich nichts dagegen tun. Er konnte nur warten.
    Er traf den alten Mann bäuchlings am Boden vor dem Podium und dem Stuhl an, die Sompas behelfsmäßig für seinen Oberbefehlshaber hatte aufstellen lassen. Der Scylvendi hatte Conphas und seinen Offizieren ein Ziegelhaus unweit des Zentrums von Joktha zugewiesen – eine alte Wechselstube der Nansur, wie der Zufall es wollte –, und obwohl er eigentlich gehen konnte, wohin er mochte, war eine Wache an jedem Eingang des Gebäudes postiert. Zum Glück waren die Leute aus Conriya ein zivilisiertes Volk und teilten die zivilisierte Wertschätzung von Bestechungsgeldern mit den Nansur.
    Conphas nahm seinen Platz auf dem Podium ein und sah auf das Parkett der früheren Wechselstube hinunter. Im Halbdunkel liefen farblose Mosaike über die Wände und beschworen ein seltsames Heimatgefühl. Beißender Rauch setzte ihm zu – dem Scylvendi hatten sie es zu verdanken, dass sie das Mobiliar verbrennen mussten. Sompas

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