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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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stand diskret im gleichen Halbdunkel wie die Sklaven. Zwischen vier glühenden Kohlenbecken lag der alte Mann mit dem Gesicht nach unten auf einer in Gold und Purpur gehaltenen Gebetsmatte, die – wie Conphas vermutete – in einem Gotteshaus gestohlen worden war. Obwohl ihm tausend Fragen durch den Kopf gingen, blickte er den Alten für einen langen Moment schweigend an und sah seine Schädeldecke durch weiße Haarsträhnen schimmern.
    Schließlich sagte er: »Ich nehme an, Ihr habt es auch gehört.«
    Natürlich sagte der Mann nichts. Cememketri war ein kluger Kopf und damit ein Experte, was die höheren Weihen der Hofetikette betraf. Nach alter Sitte durfte der Kaiser nicht ohne ausdrückliche Zustimmung angeredet werden. Wenige Kaiser gaben sich noch mit dem sogenannten Antiken Protokoll ab, doch mit Xerius’ Tod war die alte Observanz alles, was geblieben war. Die Armbrust war abgefeuert worden, und alles musste neu justiert werden.
    »Ihr dürft Euch erheben«, sagte Conphas. »Ich hebe hiermit das Antike Protokoll auf. Ihr dürft mir in die Augen schauen, wann immer Ihr wollt, Hochmeister.«
    Zwei milchweiße Sklaven aus Galeoth oder Cepalor tauchten aus dem Dunkel auf, um den Mann bei den Ellbogen aufzurichten. Conphas war lind erschrocken: Die letzten Monate hatten an dem alten Narren deutliche Spuren hinterlassen. Hoffentlich besaß er noch die Kraft, die Conphas benötigte.
    »Gottgleicher Kaiser«, murmelte der weißhaarige Hexenmeister, während ihm die Sklaven die Falten aus dem schwarzen Seidenumhang strichen.
    Da war er… sein neuer Titel.
    »Sagt mir, Hochmeister, wie die Kaiserlichen Ordensleute die Ereignisse bewerten.«
    Cememketri musterte ihn auf jene genaue Art, die Xerius – wie Conphas wusste – so zermürbt hatte. Aber mich nicht.
    »Wir haben lange auf jemanden gewartet«, sagte der gebrechliche Ordensmann, »der uns wirklich führen kann – auf einen richtigen Kaiser.«
    Conphas lächelte. Cememketri war ein fähiger Mann, und fähige Männer ärgerte es, von undankbaren Menschen regiert zu werden. Er konnte sich keiner Ahnenreihe rühmen, doch das konnten die wenigsten Hexenmeister. Er war ein Shiropti, ein Nachfahre jener Shigeki also, die vor Jahrhunderten nach der furchtbaren Niederlage der Kaiserlichen Armee bei Huparna geflohen waren. Dass er es zum Hochmeister gebracht hatte, obwohl die Shiropti allgemein als Diebe und Wucherer galten, zeugte von seinen Fähigkeiten.
    Aber konnte man ihm trauen?
    Von allen Orden gehorchten nur die Kaiserlichen Ordensleute einer weltlichen Macht, den Herrschern von Nansur nämlich. Da Conphas alle Menschen für so eitel und verräterisch gehalten hatte wie sich selbst, war er davon ausgegangen, die Ordensleute ärgerten sich insgeheim über ihre Knechtschaft, während sie in Wirklichkeit sein Misstrauen verachteten. Conphas wusste, dass die Kaiserlichen Ordensleute ihre Traditionen ehrten. Sie waren sehr stolz darauf, sich als Einzige an die Alte Übereinkunft zu halten – an den Vertrag also, der in der Spätantike alle Orden ans Ceneische Reich und seine Aspektkaiser gebunden hatte. Auch verübelten sie den anderen Orden (allen voran den Scharlachspitzen), sich widerrechtlich von der weltlichen Macht losgesagt zu haben, hielten sie für rücksichtslos und anmaßend und waren davon überzeugt, ihre Gier bedrohe die Existenz der Wenigen.
    Alle Menschen erzählen Geschichten, die sie ins beste Licht setzen, und berichten von ihrer Überlegenheit und davon, wie einzigartig sie sind, um die unvermeidlichen Demütigungen der Wirklichkeit zu lindern. Ein Herrscher braucht solche Geschichten nur zu wiederholen, um über die Herzen der Menschen zu verfügen. Diese Wahrheit aber war Xerius immer entgangen. Er war zu besessen davon gewesen, seine eigene Geschichte immer wieder zu hören, als dass er die Schmeicheleien, die andere bewegten, erfahren oder gar geäußert hätte.
    »Seid versichert, Cememketri, dass die Kaiserlichen Ordensleute zum Einsatz kommen, und zwar mit all dem Respekt und im Licht all der Erwägungen, die ihnen in der Alten Übereinkunft zugestanden worden sind. Nur ihr habt euch gegenüber Niedertracht und Liederlichkeit behauptet. Nur ihr habt eurer rühmlichen Vergangenheit die Treue gehalten.«
    Ein Anflug von Triumph erhellte die Miene des Ordensmanns. »Ihr ehrt uns, gottgleicher Kaiser.«
    »Ist alles bereit?«
    »So gut wie, gottgleicher Kaiser.«
    Conphas nickte, atmete tief aus und vergegenwärtigte sich, methodisch und

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