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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Blicke mit diesem Wissen in den Augen. Ausnahmslos schauten sie weg.
    In dieser Nacht schlug er bis zum frühen Morgen wütend auf den mit Matten ausgelegten Boden ein und schalt sich einen Narren. Argumente wurden gesammelt und verworfen, es wurde geschimpft und geflucht, doch die Liebe folgte keiner Logik.
    Genauso wenig wie der Schlaf.
     
     
    Als er sie das nächste Mal sah, schien die letzte Begegnung keine Spur bei ihr hinterlassen zu haben – bis auf eine gewisse Leere in ihrem Blick vielleicht. Der Moment, den sie da geteilt hatten, war (wie sie es ausgedrückt hatte) Wahnsinn gewesen, und noch Tage später befürchtete Achamian, die Hundert Säulen würden Anklage gegen ihn erheben. Nun erst erkannte er das ganze Ausmaß seines Elends: Er hatte sie nicht einfach an einen anderen verloren, sondern an eine ganze Nation. Es würde keine Eifersuchtsausbrüche oder Streitereien geben – nur vermummte Amtsträger, die ihm zu nächtlicher Stunde leidenschaftslos eine Vorladung überbrachten.
    Als wäre er ein Kundschafter.
    Er war nicht überrascht, als niemand kam und auch Kellhus nichts sagte, obwohl er sehr wahrscheinlich Bescheid wusste. Der Kriegerprophet brauchte ihn zu nötig – das war die bittere Erklärung. Die andere war, dass er Achamian verstand und selbst bedauerte, dass es zwischen ihnen umkämpftes Terrain gab.
    Wie konnte man seinen Unterdrücker lieben? Achamian wusste es nicht, liebte ihn aber dennoch. Er liebte sie beide.
    Jeden Abend nach dem meist üppigen Mahl mit den Nascenti begab er sich durch die Zeltkorridore des Nabels in ein mit Leder ausstaffiertes Gemach im Seitenflügel, das die Nascenti – aus unerfindlichen Gründen – Schreibstube nannten. Am Eingang senkte ein Wachposten mit Laterne stets den Kopf und murmelte zur Begrüßung entweder »Wesir« oder »Heiliger Tutor«. In der Schreibstube gruppierte Achamian zuerst die Teppiche und Kissen um, damit er seinem Schüler bequem gegenübersitzen konnte und ihnen die Zeltstange in der Mitte des Raums nicht im Weg war. Zweimal hatte er die Sklaven deswegen vergeblich gerügt. Danach wartete er und blickte gedankenverloren auf die gewebten Schäferszenen, die – wie bei den Kianene üblich – von einem Durcheinander geometrischer Wandvertäfelungen umgeben waren. Er kämpfte mit den unvermeidlichen Dämonen.
    Sein Orden hatte ihm befohlen, Kellhus zu beschützen. So realistisch die Gefahr eines Angriffs der Rathgeber auch war: der Kriegerprophet schien darüber wenig beunruhigt. Achamian befürchtete oft, er dulde ihn nur, um zu einem schwierigen Verbündeten Vertrauen aufzubauen. Ihn die Gnosis zu lehren, war freilich etwas ganz anderes und geschah auf Befehl des Kriegerpropheten selbst. Schon vor dem ersten Unterricht hatte Achamian gewusst, dass diese Begegnungen ihn staunen lassen und in Schrecken versetzen würden.
    Von Beginn an war der Umgang mit Kellhus bemerkenswert gewesen. Schon in Momemn hatten andere ihm zu gefallen versucht, als hätten sie unbewusst erfasst, was es bedeutete, Ansehen bei ihm zu genießen. Sein entwaffnendes Charisma, seine einnehmende Offenheit, sein atemberaubender Intellekt – all das brachte die Menschen dazu, sich ihm gegenüber zu öffnen, da ihm all die Schwächen fehlten, die selbst Brüder dazu trieben, einander zu bekämpfen. Seine Demut blieb stets gleich, egal, in wessen Gesellschaft er sich befand. Während andere sich mal brüsteten, mal katzbuckelten, blieb Kellhus immer unbeeindruckt. Er prahlte oder schmeichelte nie. Er beschrieb lediglich.
    Solche Menschen übten eine ungemeine Anziehungskraft aus – vor allem auf diejenigen, die sich vor dem ängstigten, was andere sahen.
    Vor langer Zeit hatten Achamian und Esmenet eine Art Spiel aus ihren Versuchen gemacht, Kellhus zu verstehen – besonders, nachdem sie seine Göttlichkeit anerkannt hatten. Zusammen hatten sie ihn wachsen und mit Wahrheiten ringen sehen, die jeder andere insgeheim akzeptiert hatte. Sie hatten gesehen, wie er seine tadellose Bescheidenheit und seinen Wunsch, weniger zu gelten als er war, aufgab und sein verhängnisvolles Schicksal annahm.
    Er war der Kriegerprophet, war Stimme und Schiff – gesandt, die Menschheit vor der Zweiten Apokalypse zu bewahren. Und doch blieb er irgendwie Kellhus, der Prinz Ohneland aus Atrithau. Natürlich forderte er Gehorsam, war aber nie überheblich, nicht überheblicher jedenfalls, als er es am Feuer von Xinemus gewesen war. Wie hätte er es auch sein sollen, wenn

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