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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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angeboten hatte. Von Pillevuit war nichts zu sehen, er hatte den Klubsessel so gekehrt, daß man nur die nackte Lehne sah – dadurch wirkte das Möbel unbewohnt.
    »Madame«, sagte der Untersuchungsrichter, »Ich hoffe, Sie haben meine Einladung nicht mißverstanden. Es handelt sich, wie ich betonen möchte, nicht um eine Vorladung. Wir möchten einige Dinge erfahren, über die Sie vielleicht Bescheid wissen. Ein junger Freund von mir«, er wies nach O'Key, der am offenen Fenster saß und dort mit einem Bleistift spielte, »der sich für die Sache interessiert, hat mich gebeten, der Unterredung beizuwohnen. Er möchte sich einige Notizen machen, denn er ist Journalist. Doch kann ich Ihnen versichern, es wird nichts in die hiesige Presse kommen. Der Herr ist Engländer.«
    Despine sprach gedämpft, seine hellen Kugelaugen waren halb von den Lidern bedeckt, er hielt die Hände gefaltet und drehte die Daumen. Jane Pochon schwieg.
    »Sie sind Haushälterin bei Professor Dominicé?«
    Frau Pochon nickte.
    »Schon lange?«
    »Fünfzehn Jahre.« Die Stimme war heiser, merkwürdig dunkel, vielleicht wirkte sie auch nur so, weil das Zimmer von der Helligkeit einbrechender Sonnenstrahlen plötzlich erleuchtet wurde. Dann schleppte sich das Verhör weiter, über nebensächliche Fragen, deren Technik Herr Despine ausgezeichnet beherrschte, langsam sich näher tastend. Ob sie zufrieden sei mit ihrer Stellung? – Jawohl. – Ob der Professor nicht schwierig zu behandeln sei? – Durchaus nicht. – Wie ihre Arbeitszeit sei? – Unregelmäßig. – Die allzukurzen Antworten schienen Herrn Despine langsam nervös zu machen, sein Ton wurde schärfer. Am Fenster spielte O'Key immer noch mit seinem Bleistift und blickte auf seine Stiefelspitzen.
    »Sie kannten natürlich«, sagte Herr Despine und zündete langsam eine Zigarette an, »jenen englischen Sekretär, der viel bei dem Professor verkehrte? Jenen Crawley, der eines so merkwürdigen Todes gestorben ist?« »Ich habe ihn gesehen, ein- oder zweimal«, dabei warf Frau Pochon einen seltsam prüfenden Blick auf O'Key, den dieser wahrnahm, aber sich nicht recht erklären konnte. Erst bei der nächsten Frage des Untersuchungsrichters, wer sonst noch bei dem Professor verkehre, und Frau Pochons Antwort: meistens Ausländer, mußte O'Key plötzlich an Madge denken. Er hatte sie seit dem Abend, dem sonderbaren Abend, der mit Thévenoz' Erscheinen geendet hatte, nicht mehr gesehen. Und er hatte sie damals heimbegleitet, gewiß, aber nur wenig gesprochen. Es war sehr ruhig und schön in dem Wagen gewesen, dann hatte er noch in Madges Zimmer Tee getrunken, und dann war er heimgegangen. An jenem Abend, vorgestern war das, hatte er gar nicht mehr an den Fall gedacht und auch Madge nichts gefragt. Aber Madge mußte etwas wissen, etwas, vor dem die dicke Frau da Angst hatte. Vielleicht war es etwas scheinbar Nebensächliches. O'Key kritzelte eifrig eine Notiz auf seinen Block – da schreckte ihn eine im Gegensatz zu den vorherigen, scharf gestellte Frage auf: »Wo haben Sie diesen Shawl verloren, Frau Pochon?«
    Schweigen. Deutlich war das Summen einer Wespe zu hören. Tiefe Atemzüge und das Knistern des schwarzen Seidenkleides.
    Dann wieder die ruhige Stimme Despines: »Nun, das hat ja nicht viel auf sich, vielleicht ist es auch gar nicht Ihr Shawl, es war nur eine einfache Frage.«
    »Das gehört nicht mir«, sagte Frau Pochon gepreßt.
    »Nun gut, meine liebe Dame, wir wollen uns mit diesen Kleinigkeiten nicht aufhalten. Aber der Professor beschäftigt sich viel mit Giften, nicht wahr?«
    »Ich kümmere mich nicht um seine Arbeiten.«
    »Nicht möglich? Sie, seine Mitarbeiterin, denn es ist doch ein offenes Geheimnis, daß Sie früher ein bedeutendes Medium waren, daß Professor Dominicé sogar ein Buch über Sie geschrieben hat, ein sehr interessantes Buch, in welchem er einige Ihrer Unwahrheiten, Ihrer unbewußten Unwahrheiten, will ich mich beeilen hinzuzufügen, auf eine geniale Art entlarvt hat. Und Sie sollten nichts von seinen Arbeiten wissen? Das ist doch kaum glaublich.«
    »Es ist aber so.« Frau Pochon hatte ein Taschentuch gezogen, dem ein leichter Kampfergeruch entströmte und wischte sich die Stirne, die mit Tropfen überdeckt war. »Es ist so heiß hier«, klagte sie.
    »Aber, daß er Morphinist ist, das wissen Sie«, stellte Herr Despine fest, und plötzlich war er aufgesprungen, hatte sich über den Tisch gebeugt und seine hellen Kugelaugen glotzten böse.
    »Ja«,

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