Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
habe meinen Sohn einer Nachbarin übergeben. Sir Eric meinte, ich sei müde und brauche Erholung.«
    »He?« fragte Kommissar Pillevuit, sein Mund stand hilflos offen, er wandte sich zum Fenster, wo O'Key jetzt aufrecht stand und die beiden sahen sich an, viel zu verwundert, um ein weiteres Wort zu finden. Herr Despine, der Untersuchungsrichter, faltete ergeben die Hände, seufzte, zündete dann eine Zigarette an und sagte sehr still:
    »Wenn sich die Herren von ihrem Erstaunen erholt haben, könnten wir vielleicht die Aussagen von Madame kontrollieren. Wie kommt es aber, daß Sie mit einem immerhin angesehenen Diplomaten so intim sind?«
    Frau Pochons Gesichtsfarbe, die nach der lächelnden Aussage auf ein zartes Rot zurückgegangen war, dunkelte augenblicklich nach. Jetzt war es die Haushälterin, die aufrecht dastand, die Fäuste auf die abstehenden Stäbe des Korsetts gestemmt, und sie schrie los, wie ein wütendes Marktweib.
    Für wen man sie eigentlich halte, keifte sie, sie stamme aus einer anständigen Familie, sie habe Manieren, wenn auch ihr verstorbener Mann ein Lump gewesen sei, so habe das nichts zu sagen, sie habe ihre Torheit schwer genug büßen müssen. Und ihr Sohn sei ein Künstler, ihr Sohn verfertige wunderbare Töpferarbeiten, und für diese habe sich Sir Eric interessiert. Und er habe sie besucht, er sei ein feiner Mann, er habe ihren Sohn zu würdigen gewußt, er sei ihr Freund, und überhaupt habe sie genug von dieser Ausfragerei. Wenn man ihr die Sünden des Professors aufbürden wolle, so werde sie schon wissen, wie sie sich zu wehren habe, sie habe mächtige Freunde. – In ihren Mundwinkeln bildeten sich kleine Schaumbläschen. Als sie zu einer neuen Rede ansetzte, stand plötzlich O'Key hinter ihr, sein roter Haarschopf überragte den Federschmuck ihres Hutes, und laut sagte er in das Ohr der Frau:
    »Attalus III., Philometor, Sohn der Stratonike, letzter König von Pergamo, besaß einen Giftgarten, in dem wuchsen hundertundzweiunddreißig verschiedene Pflanzenarten, als da sind: Schierling, Bilsenkraut, Nießwurz und Aconit. Der römische Schriftsteller Flavius aber erzählt, daß in einem Feldzug gegen die Parther die Soldaten ein Kraut aßen, das geisteskrank machte, bevor es tötete.«
    »Was wollen Sie…, was wollen Sie… damit sagen?«
    »Nichts«, sagte O'Key still, »nur in Ruhe telephonieren. Sie erlauben?« fragte er und hob schon den Hörer ab, stellte eine Nummer ein, die er auswendig zu wissen schien, fragte, wer am Apparat sei, führte dann ein Gespräch auf Englisch; es war kurz. Dann sagte er über die Achsel:
    »Lassen Sie die Frau gehen, Herr Richter. Was sie gesagt hat, wird von Sir Eric bestätigt.«
    Aber Herr Despine brauchte kein Wort zu sagen. Bevor er noch den Mund hatte öffnen können, klappte die gepolsterte Tür hinter einem wehenden schwarzen Rock zu.
    Es wären noch zwei Kleinigkeiten mitzuteilen, die erste: Nach dem Weggang Jane Pochons entdeckte der Untersuchungsrichter das Fehlen jener kleinen Medaille, die O'Key als ein Amulett jener Sekte bezeichnet hatte, die unter dem Namen basilidianische Gnosis im alexandrinischen Ägypten geblüht hatte. Aber Herr Despine sowohl als auch der Kommissar waren zu erschöpft, um aus dem Verschwinden dieser Münze die juristischen Konsequenzen zu ziehen. Vielleicht hielt sie auch das zweite Geschehnis von weiteren Schritten ab.
    Es hieß nämlich am selben Tag noch, man habe im ›Palais‹ noch nie soviel Bremen, Mücken, Wespen, Hummeln bemerkt wie heute, und zwar erst nach dem Weggehen einer alten Frau mit hochrotem Gesicht, die murmelnd und scheinbar sehr gereizt, durch die Gänge gefegt sei. Ja, Polizist Malan, an den wir uns erinnern, und der an diesem Tag Dienst vor dem Tore hatte, behauptete sogar, die Frau habe dieses Ungeziefer angelockt. Denn sie sei die Rue Verdaine hinab verschwunden, umgeben von einem ganzen Schwarm Ungeziefer, und er selbst, Malan, sei von drei Bremen und vier Wespen gestochen worden. Die Frau aber habe etwas in der Hand gehalten, was nicht zu erkennen gewesen sei, und auf dieses Etwas habe sie eingesprochen, als wolle sie ihm Befehle erteilen.
    Nun, Polizist Malan trank gern, das wissen wir, er war ein Waadtländer Bauernsohn, ganz hinten aus dem Jura, und dort sind die Leute abergläubisch. Es ist selbstverständlich, daß keiner der beiden Kriminologen an solche Ammenmärchen glaubte. Merkwürdig bleibt immerhin ein Ausspruch O'Keys, der seinen historischen Tag zu haben schien. Nach

Weitere Kostenlose Bücher