Der Tempel der Ewigkeit
träumte mit offenen Augen von einem fruchtbaren Land, in dem der Gott seines Herzens herrschen würde, das die Hebräer selbst verwalten und dessen Grenzen sie wie ihr kostbarstes Gut verteidigen sollten.
Endlich erkannte er das wahre Wesen des Feuers, das seit so vielen Jahren seine Seele verzehrte! Er nannte dieses unstillbare Verlangen bei seinem Namen. Er stellte sich an die Spitze eines Volkes, das er zur Wahrheit führen würde. Und die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Würde Ramses einen derartigen Aufruhr, eine derartige Mißachtung seiner eigenen Macht dulden? Moses mußte ihn überzeugen, ihn dazu bewegen, daß er seinen Wunschtraum billigte.
Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Ramses war nicht nur Spielgefährte gewesen, sondern ein echter Freund, ein Mensch, in dem ein ebenso heftiges und dennoch ganz anderes Feuer loderte. Moses würde ihn nicht verraten und eine Verschwörung gegen ihn anstiften. Er würde ihm die Stirn bieten, Auge in Auge, ihn zwingen, sich ihm zu beugen. Selbst wenn ihm dieser Sieg unmöglich erschien, er würde ihn erringen.
Denn Gott war mit ihm.
ZWEIUNDFÜNFZIG
DEN VORDEREN TEIL des Schädels rasiert, Ringe in den Ohren, platte Nasen, die Wangen voller Ritualnarben, mit Halsketten aus bunten Perlen und kurzen Schurzen aus Pantherfell, so traten die aufrührerischen Nubier in Erscheinung. Als die Sonne kaum ihren höchsten Stand überschritten hatte und die meisten von Ramses’ Soldaten noch Mittagsschlaf hielten, umzingelten sie das ägyptische Lager. Sie schwenkten ihre großen Bogen aus Akazienholz. Ihre Pfeile würden unzählige Ägypter durchbohren, noch ehe diese in der Lage waren, selbst zu handeln.
Wenn ihr Anführer noch zögerte, den Befehl zum Angriff zu erteilen, so lag das an einer kleinen Gruppe von Männern, die ebenfalls mit mächtigen Bogen bewaffnet waren und sich hinter einem Schutzwall aus Schilden und Palmen verschanzt hatten. An ihrer Spitze stand Serramanna, der diesen Überfall erwartet hatte. Die Besten der Fußtruppen, die er zusammengerufen hatte, würden die Reihen der Nubier schon lichten. Dessen war sich auch der Anführer der Aufständischen bewußt, selbst wenn ihm der Sieg gewiß schien.
Die Zeit stand still. Keiner bewegte sich.
Der Berater des nubischen Anführers empfahl ihm, zu schießen und so viele Feinde wie möglich zu vernichten, indes einige Krieger, die besonders schnell laufen konnten, sich auf die Männer hinter dem Schutzwall stürzen sollten. Doch der Anführer hatte Erfahrung im Kämpfen, und Serramannas Gesicht verhieß nichts Gutes. Hatte dieser schnurrbärtige Riese ihnen nicht eine oder gar mehrere Fallen gestellt, die ihnen verborgen blieben? Dieser Mann glich keinem der Ägypter, die er schon getötet hatte. Und der Instinkt des Jägers mahnte ihn, sich vor ihm in acht zu nehmen.
Als Ramses aus seinem Zelt trat, richteten sich aller Augen auf ihn. Auf seinem Haupt saß eine blaue Krone, die den Kopf wie ein Helm umschloß und weit nach hinten ragte, und er war mit einem kurzärmeligen Hemd aus gefälteltem Leinen und einem golddurchwirkten Schurz bekleidet, an dessen Gürtel der Schwanz eines wilden Stieres hing. In der rechten Hand hielt er das Zepter, das den Namen «Magie» trug und dessen oberes, wie ein Hirtenstab geformtes Ende auf seine Brust wies.
Hinter dem König kam Setaou zum Vorschein, der die weißen Sandalen des Herrschers trug. Trotz der ernsten Lage mußte er an Ameni denken, den wahren Sandalenträger des Pharaos. Wie verblüfft wäre er gewesen, hätte er den Freund jetzt sehen können, der rasiert und mit Perücke und Schurz wie ein Würdenträger bei Hof aussah, von dem ihn nur eine Kleinigkeit unterschied: ein seltsamer Beutel, der, an seinem Leibriemen befestigt, hinter seinem Rücken baumelte.
Unter den besorgten Blicken der ägyptischen Soldaten gingen der Pharao und Setaou bis an den Rand des Lagers, wo sie, kaum fünfzig Schritt von den Nubiern entfernt, stehenblieben.
«Ich bin Ramses, der Pharao von Ägypten. Wer ist euer Anführer?»
«Ich», antwortete der Nubier und trat einen Schritt vor.
Zwei von einem roten Band gehaltene Federn steckten in seinem Haar. Er ließ die Muskeln spielen und schwenkte einen mit Straußenfedern geschmückten langen Spieß.
«Wenn du kein Feigling bist, komm her.»
Sein Berater bekundete Mißfallen. Aber weder Ramses noch sein Sandalenträger waren bewaffnet. Er hingegen hatte einen Spieß und sein Berater einen Dolch mit zweischneidiger
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