Der Tempel der Ewigkeit
trockene Palmblätter, preßte die harten Stengel mit den Knien zusammen und rieb zwischen ihnen - immer schneller - ein Stück eines abgestorbenen Zweiges, bis sich der Holzstaub entzündete. Die Wachsoldaten sollten das Feuer in Gang halten, damit es Kobras, Hyänen und andere unerwünschte Tiere vom Lager abhalte.
«Hast du genügend Schlangen eingefangen?» fragte Ramses.
«Lotos ist begeistert. Heute nacht werden wir uns ausruhen.»
«Ist dieses Land nicht prächtig?»
«Mir scheint, du liebst es ebenso wie wir.»
«Es stellt mich auf eine harte Probe und zwingt mich, über mich hinauszuwachsen. Seine Kraft ist ein Teil von mir.»
«Aber ohne meine Viper hätten die Aufständischen dich umgebracht.»
«Es ist nicht geschehen, Setaou.»
«Dein Plan war dennoch gewagt.»
«Er hat uns blutige Kämpfe erspart.»
«Ist dir eigentlich klar, wie unvorsichtig du bist?»
«Wozu?»
«Ich bin nichts weiter als Setaou, der sich mit Freuden seinen Giftschlangen widmen kann. Aber du, du bist der Herr der Beiden Länder. Dein Tod würde ganz Ägypten ins Verderben stürzen.»
«Nefertari würde mit Umsicht regieren.»
«Du bist erst fünfundzwanzig Jahre alt, Ramses, doch du hast nicht mehr das Recht, jung zu sein. Überlasse die Kriegslust anderen.»
«Darf der Pharao denn ein Feigling sein?»
«Wirst du je aufhören zu übertreiben? Ich bitte dich doch nur, ein wenig Vorsicht walten zu lassen.»
«Werde ich nicht von allen Seiten beschützt? Die Magie der Königin, du und deine Kriechtiere, Serramanna und seine Söldner, Wächter und Schlächter… Kein anderer hat soviel Glück wie ich.»
«Vergeude es nicht.»
«Es ist unerschöpflich.»
«Da du keinerlei Vernunft zugänglich bist, schlafe ich lieber.»
Setaou kehrte dem König den Rücken zu und legte sich neben Lotos. Der Seufzer des Wohlbehagens, den sie ausstieß, gebot Ramses, sich zu entfernen. Die Ruhe des Schlangenbändigers drohte von nur kurzer Dauer zu sein.
Wie sollte der Pharao ihn davon überzeugen, daß er ein Mann des Staates, für ein hohes Amt wie geschaffen war? Setaou verkörperte Ramses’ erste große Niederlage. Darauf versessen, seinen eigenen Weg zu gehen, weigerte er sich, eine vielversprechende Laufbahn einzuschlagen. Sollte er ihm die freie Wahl lassen oder ihn zwingen, einer der führenden Männer des Königreichs zu werden?
Ramses brachte die Nacht damit zu, den Sternenhimmel zu betrachten, das lichtvolle Firmament, an dem die Seele seines Vaters und die der Pharaonen vor ihm erstrahlten. Er war stolz auf sich, weil er, wie Sethos, in der Wüste Wasser gefunden und die Rebellen bezwungen hatte, doch dieser Sieg stellte ihn nicht zufrieden. Trotz Sethos’ Eingreifen hatte sich erneut ein Stamm gegen Ägypten erhoben. Wer weiß, ob nach einiger Zeit der Ruhe nicht wieder eine ähnliche Lage entstand. Er konnte diesen Unruhen nur ein Ende setzen, wenn er das Übel an der Wurzel packte, aber wie sollte er diese Wurzel finden?
Am frühen Morgen fühlte Ramses, daß jemand hinter ihm stand. Langsam drehte er sich um, und da sah er den Eindringling.
Ein riesiger Elefant, der auf leisen Sohlen in die Oase geschlichen war, ohne daß unter seinen Tritten auch nur die vertrockneten Palmblätter geraschelt hätten, die den Boden übersäten. Der Löwe und der Hund hatten die Augen geöffnet, verhielten sich aber vollkommen ruhig, als wüßten sie ihren Herrn in Sicherheit.
Es war der gewaltige Elefantenbulle mit den großen Ohren und den langen Stoßzähnen, den Ramses Vor Jahren gerettet hatte, als er ihm einen Pfeil aus dem Rüssel zog.
Der König von Ägypten streichelte den Rüssel des Herrn der Steppe, und der Koloß trompetete vor Freude so laut, daß das ganze Lager erwachte.
Darauf trottete der Elefant gemächlich davon, blieb jedoch kaum zweihundert Schritt entfernt stehen und wandte den Kopf zum König um.
«Er will wohl, daß ich mitkomme», befand Ramses.
DREIUNDFÜNFZIG
DER PHARAO, SERRAMANNA, Setaou und ein Dutzend kampferprobte Krieger folgten dem Elefanten. Er durchquerte ein schmales Wüstental und schlug dann einen von Dornengestrüpp gesäumten Pfad ein, der zu einer Hochebene hinaufführte, auf der eine über hundert Jahre alte Akazie wuchs.
Schließlich blieb der Elefant stehen, und Ramses trat zu ihm. Als er in dieselbe Richtung blickte wie das mächtige Tier, entdeckte er die herrlichste Landschaft, die er je gesehen hatte. Er befand sich auf einem gewaltigen Felsvorsprung aus Sandstein,
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