Der Tempel der Ewigkeit
der eine lang gestreckte Biegung des Nils überragte und den Schiffern als Anhaltspunkt diente. Der Pharao, der Gemahl Ägyptens, schaute die geheimnisvollen Wasser der Schöpfung, den göttlichen Fluß in seiner ganzen Majestät. In den Fels gemeißelte Hieroglyphen kündeten davon, daß diese Stätte unter dem Schutz der Göttin Hathor stand, der Beherrscherin der Sterne und Schutzherrin der Schiffer, die an dieser Stelle gerne eine Rast einlegten.
Mit dem rechten Vorderfuß trat der Elefant einen Stein los. Er rollte davon, stürzte in die Tiefe und landete in dem ockerfarbenen Sand zwischen zwei riesigen Felsblöcken.
Der, auf dem der König stand, fiel an seiner Nordseite steil ab und reichte beinahe bis zum Wasser hinunter. Nach Süden hin lief er sanft aus und ging in eine weite Ebene über, die sich gen Westen öffnete.
Am Flußufer hatte ein Boot aus einem ausgehöhlten Palmenstamm festgemacht, in dem ein Junge schlief.
«Holt ihn herauf!» befahl der König zwei Soldaten.
Als der kleine Nubier sie kommen sah, ergriff er die Flucht. Er hoffte, ihnen zu entrinnen, stolperte jedoch über einen Stein, der ein wenig aus dem Sand herausragte, und fiel der Länge nach hin. Die Ägypter packten ihn, drehten ihm die Arme auf den Rücken und führten ihn vor den König.
Vor Angst rollte der Ausreißer mit den Augen, denn er befürchtete, man würde ihm die Nase abschneiden.
«Ich bin kein Dieb! Dieses Boot gehört wirklich mir, ich schwöre es, und…»
«Beantworte meine Frage», sagte Ramses, «dann bist du frei. Welchen Namen trägt dieser Ort?»
«Abu Simbel.»
«Du kannst wieder gehen.»
Der Junge rannte zu seinem Einbaum und paddelte, so schnell er nur vermochte, mit bloßen Händen davon.
«Bleiben wir nicht hier», empfahl Serramanna, «diese Stätte erscheint mir nicht sicher.»
«Ich habe allerdings nicht die geringste Spur einer Schlange entdeckt», wandte Setaou ein. «Seltsam… sollte die Göttin Hathor sie abschrecken?»
«Keiner möge mir folgen», verlangte der König.
Serramanna ging auf ihn zu.
«Aber Majestät!»
«Muß ich es zweimal sagen?»
«Deine Sicherheit…»
Ramses stieg den Abhang zum Fluß hinunter. Setaou hielt den Sarden zurück.
«Gehorche ihm, das ist besser.»
Murrend fügte sich Serramanna. Der König ganz allein, in dieser entlegenen Gegend, in einem feindseligen Land! Im Falle einer Gefahr, so schwor er sich, würde er trotz des Befehls eingreifen.
Am Ufer des Flusses angelangt, wandte der Pharao sich um und betrachtete die steile Felswand.
Hier schlug das Herz Nubiens, nur Nubien wußte es noch nicht. Ihm, Ramses, fiel es zu, Abu Simbel in ein Wunderwerk zu verwandeln, das der Zeit trotzen und für immer den Frieden zwischen Ägypten und Nubien besiegeln sollte.
Stundenlang hing der Pharao in Abu Simbel seinen Gedanken nach, nahm die Klarheit des Himmels, das Glitzern des Nils und die Macht des Felsens in sich auf. Hier sollte das größte Heiligtum der Provinz errichtet werden. Es würde die göttlichen Kräfte in sich vereinen und eine schützende Aura verbreiten, die so stark war, daß sie das Klirren der Waffen verstummen ließ.
Ramses beobachtete die Sonne. Ihre Strahlen fielen nicht nur auf den Fels, sondern drangen in ihn ein und erleuchteten ihn von innen her. Wenn die Baumeister sich hier ans Werk machten, mußten sie versuchen, dieses Wunder zu erhalten.
Als der König den Stellhang wieder erklommen hatte, war Serramanna am Ende seiner Beherrschung und hätte beinahe sein Amt niedergelegt. Allein die unerschütterliche Ruhe des Elefanten hielt ihn davon ab. Er würde doch nicht ungeduldiger sein als ein Tier, so groß es auch sein mochte.
«Wir kehren nach Ägypten zurück», beschloß Ramses.
Nachdem Chenar sich den Mund mit Natron gereinigt hatte, überließ er sein Gesicht einem Bader von größtem Zartgefühl, der sich darauf verstand, ihm den Bart abzunehmen, ohne ihm einen einzigen Schmerzensschrei zu entlocken. Ramses’ älterer Bruder wußte auch eine Einreibung mit Duftölen zu schätzen, vor allem auf dem Kopf, ehe er die Perücke aufsetzte. Diese kleinen Freuden machten das Dasein angenehm und gaben ihm das beruhigende Gefühl einer gepflegten Erscheinung. Obgleich er nicht so gut aussah und auch nicht so athletisch war wie Ramses, so wetteiferte er doch mit ihm in seiner Eleganz.
Seine Wasseruhr, ein kostbares Stück, gemahnte ihn, daß die Stunde seiner Verabredung nahte.
Seine bequeme und geräumige Sänfte war die
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