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Der Tempel der Ewigkeit

Der Tempel der Ewigkeit

Titel: Der Tempel der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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nacheiferten. Sein Oberschreiber, ein gelehrter Mann, pflegte indes kaum in der Welt außerhalb der Tempelmauern zu erscheinen. In sich gekehrt und dem Studium der Schriften ergeben, verließ er nur selten seinen Bereich.
    «Dein Vater hat oft unter uns geweilt», erklärte er Ramses. «Sein innigster Wunsch war es, sich von der Welt zurückzuziehen, doch er wußte, daß sich dieser Traum niemals erfüllen würde. Du, Majestät, du bist noch jung, und Pläne in großer Zahl drängen sich in deinem Kopf und in deinem Herzen. Aber bist du auch des Namens würdig, den du trägst?»
    Nur mit äußerster Mühe bezähmte Ramses seinen Zorn.
    «Solltest du daran zweifeln?»
    «Der Himmel wird statt meiner antworten. Folge mir.»
    «Ist das ein Befehl?»
    «Du bist der Herr des Landes, ich bin nur dein Diener.»
    Der Oberschreiber des Lebenshauses hatte jedoch bei seinen Worten nicht einmal den Blick gesenkt. Dieser Widersacher war gewiß furchterregender als all jene, denen Ramses bereits die Stirn geboten hatte.
    «Folgst du mir?»
    «Zeige mir den Weg.»
    Gleichmäßigen Schritts ging der Gelehrte voraus und strebte dem Heiligtum zu Ehren des Urgesteins zu, in dessen Mitte der mit Hieroglyphen bedeckte Obelisk aufragte.
    Auf seiner Spitze saß, noch immer reglos, der Phönix.
    «Majestät, bist du bereit, den Kopf zu heben und deinen Blick auf diesen Vogel zu richten?»
    Der Phönix verschwamm im flirrenden Glast der Mittagssonne.
    «Hast du die Absicht, mich blind zu machen?»
    «Die Entscheidung liegt bei dir, Majestät.»
    «Der König braucht deine Herausforderung nicht anzunehmen.»
    «Wer, außer ihm selbst, könnte ihn je dazu zwingen?»
    «Benenne mir den Grund für dein Ansinnen.»
    «Du trägst einen Namen, Majestät, auf dem deine Herrschaft beruht. Bisher war er nur ein Wunschbild. Wird das so bleiben, oder bringst du den Mut auf, nach Gewißheit zu streben, welches Wagnis du dabei auch eingehen magst?»
    Da blickte Ramses der Sonne ins gleißende Antlitz.
    Die goldene Scheibe versengte ihm nicht die Augen, denn er sah den Phönix seine Schwingen ausbreiten und sich in die Lüfte erheben. Lange hielt der Blick des Herrschers diesem Leuchten stand, das den Himmel erhellte und den Tag erschuf.
    «Du bist wahrhaftig Ramses, der Sohn des Lichts, das Kind der Sonne. Möge deine Herrschaft vom Sieg über die Finsternis künden.»
    Ramses begriff, daß er von dieser Sonne, deren irdische Verkörperung er war, nie etwas zu befürchten haben würde. Aus der Zwiesprache mit ihr schöpfte er seine Kraft.
    Ohne ein weiteres Wort zu sagen, begab sich der gelehrte Mann in ein lang gestrecktes Gebäude mit hohen und dicken Mauern. Ramses folgte ihm und betrat das Haus des Lebens von Heliopohs. Auf einem kleinen Sandhügel in der Mitte des Hauses lag, von einem Widderfell bedeckt, der göttliche Stein. Die Alchimisten bedienten sich seiner bei ihren Versuchen, Unedles in Edles zu verwandeln, und Splitter davon wurden den Eingeweihten in die Sarkophage gelegt, um ihren Übertritt vom Tod in neues Leben zu erleichtern.
    Der Oberschreiber führte Ramses in einen großen Raum. Hier wurden nicht nur die Schriften der Sternkundigen und der Sterndeuter aufbewahrt, sondern auch Papyri mit Prophezeiungen sowie mit Aufzeichnungen über die wichtigsten Ereignisse zu Lebzeiten der verschiedenen Könige.
    «Nach unseren Erkenntnissen», erklärte der Oberschreiber, «ist der Phönix seit eintausendvierhunderteinundsechzig Jahren nicht mehr in Heliopohs erschienen. Daß er im Jahr eins deiner Herrschaft wiedergekommen ist, zeugt von dem bedeutsamen Augenblick, zu dem die beiden von unseren Sternkundigen aufgestellten Kalender miteinander im Einklang standen: der Kalender des festgelegten Jahres, der alle vier Jahre einen Tag verliert, und der des wirklichen Jahres, der vom Beginn der Nilschwelle bestimmt wird. Genau in dem Augenblick, in dem du den Thron bestiegen hast, stimmten die beiden Zeitberechnungen überein. Wenn du es wünschst, wird die Kunde von diesem Ereignis in eine Stele gemeißelt.»
    «Welche Lehre soll ich aus deinen Erklärungen ziehen?» «Daß es keinen Zufall gibt, Majestät, und daß dein Schicksal in den Händen der Götter liegt.»
    Eine wundersame Überschwemmung, die Wiederkehr des Phönix, ein neues Zeitalter… Das war zuviel für Chenar. Zutiefst vergrämt, keines klaren Gedankens fähig, bewahrte er dennoch Haltung bei den Zeremonien zu Ehren von Ramses, dessen Herrschaft, unter derartigen Vorzeichen

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