Der Tempel der Ewigkeit
die letzten Strahlen der sinkenden Sonne den Obelisken von Heliopolis vergoldeten.
FÜNFUNDDREISSIG
KAUM WAR IN den Fenstern von Ramses’ Schlafgemach das Licht erloschen, da verließ Serramanna den Palast. Zuvor vergewisserte er sich jedoch noch, daß die Wachen, die er selbst ausgesucht hatte, tatsächlich auf ihren Posten standen. Dann schwang er sich auf den Rücken eines prächtigen Rappen und galoppierte durch Memphis, in Richtung Wüste.
Die Ägypter waren des Nachts nicht gern unterwegs, denn nach Sonnenuntergang kamen böse Geister aus ihren Schlupfwinkeln und fielen sorglose Reisende an. Der sardische Koloß kümmerte sich hingegen nicht um derlei Aberglauben, zumal er sich sogar gegen eine ganze Horde von Ungeheuern zu verteidigen gewußt hätte. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, vermochte ihn niemand zurückzuhalten.
Serramanna hatte gehofft, Setaou würde sich bei Hof blicken lassen und an den Freudenfesten zu Ehren von Ramses teilnehmen. Doch getreu seinem Ruf, ein überspannter Eigenbrötler zu sein, hatte der Schlangenkundige seine Giftküche nicht verlassen. Folglich stellte der Sarde, immer noch auf der Suche nach dem Unhold, der den Skorpion in Ramses’ Kajüte geschmuggelt hatte, da und dort seine Fragen und mühte sich, mehr oder minder vertrauliche Auskünfte zu erhalten.
Niemand mochte Setaou. Man fürchtete sich sowohl vor seinen Zauberkünsten als auch vor den grausigen Kreaturen, mit denen er Umgang pflegte. Dennoch konnte man nicht umhin, anzuerkennen, daß seine Geschäfte stetig wuchsen. Mit dem Verkauf der Schlangengifte an diejenigen, die daraus Heilmittel gegen schwere Krankheiten zubereiteten, begann er ein Vermögen zu scheffeln.
Wiewohl Serramanna nach wie vor Romet mißtraute, mußte er doch zugeben, daß Setaou einen vortrefflichen Verdächtigen abgab. Nach seinem gescheiterten Anschlag wagte er nicht mehr, vor Ramses zu erscheinen und dem Blick des Freundes zu trotzen. Kam die Tatsache, daß er sich in seiner Einöde verschanzte, nicht einem Geständnis gleich?
Serramanna mußte ihn unbedingt sehen. Der ehemalige Seeräuber hatte sich angewöhnt, seine Widersacher nach ihrem Gesichtsausdruck zu beurteilen, und diesem Scharfblick verdankte er es, daß er noch lebte. Sobald er Setaou genau betrachtet hatte, würde er sich eine Meinung über ihn bilden, und da er sich versteckt hielt, mußte er ihn eben ausheben.
Am äußersten Rand der Äcker saß Serramanna ab und band das Pferd an den Stamm eines Feigenbaums. Er raunte dem Tier noch ein paar beruhigende Worte ins Ohr, dann machte er sich lautlos auf den Weg zu dem Haus, das Setaou als Wohnung und Forschungsstätte diente. Obwohl der zunehmende Mond erst eine sehr schmale Sichel bildete, war die Nacht hell. Das Kichern einer Hyäne schreckte den Sarden nicht. Er kam sich vor, als sei er aufgebrochen, um in einem Überraschungsangriff ein Schiff zu entern.
Im Haus brannte Licht. Und wenn er bei dem Verhör ein bißchen nachhalf, um die Wahrheit zu erfahren? Gewiß, er hatte gelobt, keine Gewalt anzuwenden, aber hieß es nicht, Not kenne kein Gebot? Er duckte sich, ging vorsichtig um einen kleinen Hügel herum und schlich sich von hinten an das Gebäude heran.
Den Rücken flach an die Wand gepreßt, lauschte der Sarde.
Er vernahm ein Stöhnen, das aus dem Inneren des Hauses drang. Welchen Unglücksraben mochte der Schlangenbändiger gerade quälen? Serramanna schob sich seitwärts bis zu einer Maueröffnung und warf einen Blick hinein. Töpfe, Krüge, schmale Glasgefäße, Käfige mit Skorpionen und Schlangen, Messer in verschiedenen Größen, Körbe… ein unüberschaubares Gewirr auf Wandbrettern und Tischen.
Auf dem Boden lagen ein Mann und eine Frau, nackt und eng umschlungen. Eine prachtvolle Nubierin, von schlankem Wuchs und in äußerster Erregung, stöhnte vor Lust. Ihr Gefährte, schwarzhaarig und stämmig, strotzte vor Männlichkeit.
Der Sarde wandte sich ab. Auch wenn er selbst ungestüme Frauen zu schätzen wußte, fand er keinen Gefallen daran, anderen bei der Liebe zuzusehen. Dennoch hatte ihn die Schönheit dieser Nubierin ergriffen. Ihren hemmungslosen Taumel der Sinne zu stören wäre ein Verbrechen gewesen. Also fand er sich damit ab, daß er noch eine Weile warten mußte. Ein entkräfteter Setaou wäre ohnehin müheloser zu verhören.
Vergnügt dachte er an die hübsche Memphitin, mit der er am nächsten Abend speisen würde. Ihrer besten Freundin zufolge gefielen ihr
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