Der Tempel der vier Winde - 8
ein Messer an die Rippen. »Beantwortet Kommandant Mallacks Frage, oder Ihr sterbt. Was ist Euer Beruf?«
Der Prophet tat die Frage mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.
»Keiner, der Euch interessieren würde. Also, was wollt Ihr für die Sklavin? Ich bin in der Lage, ein hübsches Sümmchen zu bezahlen. Warum solltet Ihr Jungs nicht auch einen Gewinn herausschlagen? Ich mißgönne niemandem seinen Profit.«
»Wir haben alle Beute, die wir wollen. Man braucht hier doch bloß zuzugreifen.« Der Kommandant sah zu dem Mann hinüber, der Clarissa den Ring durch die Lippe gebohrt hatte. »Töte ihn.«
Der Prophet wehrte die Männer mit einer lässigen Handbewegung ab. »Ich will Euch nichts Böses, Jungs.« Er beugte sich ein wenig vor. »Vielleicht überlegt Ihr es Euch noch mal?«
Kommandant Mallack öffnete den Mund, doch dann zögerte er. Er brachte kein Wort hervor. Clarissa vernahm ein gequältes Grummeln, das aus den Eingeweiden der drei Männer stammte. Die Männer rissen die Augen auf.
»Was ist?« erkundigte sich der Prophet. »Alles in Ordnung? Also, was haltet Ihr von meinem Angebot, Männer? Wieviel wollt Ihr für sie?«
Die Gesichter der drei Männer verzerrten sich gequält. Clarissa roch einen üblen Gestank.
»Nun ja«, meinte Kommandant Mallack mit gepreßter Stimme. »Ich denke…« Er verzog das Gesicht. »Wir, ah, wir müssen gehen.«
Der Prophet verneigte sich. »Oh, vielen Dank, Männer. Also fort mit Euch. Und überbringt meinem Freund, dem Kaiser Jagang, meine Empfehlung.«
»Aber was wird aus ihm?« fragte einer der Männer den Kommandanten, während sie sich langsam davonschlichen.
»Nicht lange, und ein anderer kommt vorbei und tötet ihn«, antwortete der Kommandant, derweil alle drei krummbeinig zur Tür hinausschlurften.
Der Prophet wandte sich ihr zu. Sein Lächeln verschwand, als er sie mit seinem Habichtblick betrachtete.
»Nun, habt Ihr Euch mein Angebot noch einmal überlegt?«
Clarissa zitterte. Sie war sich nicht recht im klaren, wen sie mehr fürchten sollte, die Angreifer oder den Propheten. Die Männer würden ihr weh tun. Was der Prophet ihr antun würde, wußte sie nicht. Vielleicht erzählte er ihr, auf welche Weise sie sterben wird.
Er hatte ihr vorhergesagt, wie eine ganze Stadt sterben würde, und genau so war es gekommen. Sie befürchtete, daß er alles wahrmachen konnte, was er sagte. Propheten besaßen Magie.
»Wer seid Ihr?« fragte sie leise.
Er machte eine dramatische Verbeugung. »Nathan Rahl. Ich habe es Euch bereits erklärt, ich bin Prophet. Verzeiht, daß ich davon absah, mich vorzustellen, aber wir haben nicht gerade sehr viel Zeit.«
Seine stechend blauen Augen machten ihr angst, trotzdem zwang sie sich zu fragen: »Wozu wollt Ihr eine Sklavin?«
»Nun, nicht für denselben Zweck wie diese Kerle.«
»Ich möchte nicht –«
Er nahm ihren Arm und zog sie ans Fenster. »Seht hinaus. Schaut hin!«
Zum ersten Mal verlor sie die Kontrolle über ihre Tränen und ließ ihnen unter hoffnungslosem Schluchzen freien Lauf. »Gütiger Schöpfer…«
»Er wird nicht kommen und helfen. Niemand kann diesen Leuten jetzt noch helfen. Ich kann Euch retten, aber Ihr müßt Euch einverstanden erklären, mir im Gegenzug ebenfalls zu helfen. Ich werde mein Leben und das von Zehntausenden anderer nicht wegen Euch aufs Spiel setzen, wenn Ihr mir nicht von Nutzen seid. Eher werde ich mir eine andere Frau suchen, die mich lieber begleitet, als zur Sklavin dieser Bestien zu werden.«
Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. »Ist es gefährlich?«
»Ja.«
»Sterbe ich, wenn ich Euch helfe?«
»Vielleicht. Vielleicht überlebt Ihr auch. Wenn Ihr sterbt, dann bei einer noblen Tat: bei dem Versuch, noch größeres Leid als dieses zu verhindern.«
»Könnt Ihr den Menschen nicht helfen? Könnt Ihr dem kein Ende machen?«
»Nein. Was geschieht, geschieht. Wir können bestenfalls danach trachten, die Zukunft zu gestalten – die Vergangenheit können wir nicht ändern.
Ihr habt eine gewisse Ahnung, welche Gefahren die Zukunft birgt. Ihr hattet hier einmal einen Propheten wohnen, der einige seiner Prophezeiungen aufgeschrieben hat. Er war kein bedeutender Prophet, trotzdem ließ er sie hier zurück, wo ihr Narren sie als Offenbarung des Göttlichen Willens betrachtet.
Das sind sie nicht. Es sind lediglich Worte, die eine Möglichkeit ausdrücken. Es steht in Eurer Macht, Euer Schicksal zu bestimmen. Ihr könnt bleiben und dieser Armee als Hure dienen, oder Ihr
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