Der Tempel der vier Winde - 8
aus den zitternden Händen und klappte es zu. »Versucht nicht zu verstehen, was die Worte bedeuten. Ich weiß, daß Ihr das hier versucht, aber ich bin ein Prophet, und ich kann Euch mit großem Nachdruck versichern, daß ein solches Unterfangen vollkommen sinnlos wäre. Ganz gleich, was Ihr Euch denkt und wovor Ihr Euch fürchtet, Ihr werdet einem Irrtum aufsitzen.«
Ihre Entschlossenheit, mit ihm fortzugehen, ließ nach. Trotz seiner scheinbaren Freundlichkeit oben im Turm, als er sie gerettet hatte, machte ihr der Prophet angst. Vor einem Mann, der solche Dinge wußte wie er, mußte man sich ja fürchten.
Sie erschrak, als er ihren Namen aussprach.
»Clarissa«, wiederholte er. »Geht und holt ein paar von den Soldaten her. Erklärt ihnen, daß Ihr den Auftrag habt, sie zu den Archiven unten zu führen.«
»Warum? Warum wollt Ihr, daß ich sie holen gehe?«
»Tut, was ich sage. Erklärt ihnen, Kommandant Mallack habe gesagt, Ihr sollt sie zu den Büchern führen. Falls es Schwierigkeiten gibt, erklärt ihnen, er habe noch hinzugefügt, sie ›sollen ihren armseligen Hintern sofort zu den Büchern runterschaffen, oder der Traumwandler wird ihnen einen Besuch abstatten, den sie noch bedauern werden!‹«
»Aber wenn ich dort hinaufgehe…«
Sie ließ den Satz unbeendet, als er sie fest ansah. »Falls Ihr Schwierigkeiten habt, dann sagt ihnen diese Worte, und Ihr werdet zurechtkommen. Bringt sie hierher.«
Sie öffnete den Mund, um zu fragen, warum er wollte, daß sie zu den Büchern herunterkämen, doch angesichts seiner Miene schwieg sie. Sie lief die Treppe hoch, froh, von dem Propheten fort zu sein, auch wenn sie sich darüber im klaren war, daß sie diesen brutalen Kerlen gegenübertreten mußte.
Vor der Tür zum großen Saal zögerte sie. Sie konnte fliehen. Doch der Abt hatte ihr denselben Vorschlag gemacht, fiel ihr ein, und den hatte sie für töricht gehalten. Es gab keinen Ort, wo man sich hätte verbergen können. Sie hatte einen silbernen Ring, vielleicht war der zu irgend etwas gut. Diese Männer maßen ihr wenigstens so viel Wert bei.
Sie öffnete die Tür und machte einen Schritt, doch dann blieb sie bei dem Anblick, der sie begrüßte, stehen und riß die Augen auf. Die Doppeltür zur Straße hin war zersplittert. Der Fußboden war mit Leichen von Männern übersät, die in die Abtei geflohen waren, um dort Schutz zu suchen.
Der große Saal war zum Bersten mit Eroberern gefüllt. Zwischen den blutigen Toten wurden Frauen vergewaltigt. Clarissa stand offenen Mundes da wie zu Eis erstarrt und gaffte.
Männer standen in Gruppen zusammen und warteten darauf, daß sie an die Reihe kämen. Die größten Gruppen warteten auf die Frauen mit den Goldringen. Was diesen Frauen angetan wurde, trieb Clarissa den Mageninhalt hoch. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und zwang sich, ihn hinunterzuschlucken.
Wie gebannt stand sie da, unfähig, den Blick von der nackten Manda Perlin abzuwenden, einer jener jungen Frauen, die sie oft gequält hatte. Manda hatte einen reichen Mann mittleren Alters geheiratet, der Geld verlieh und in Frachtgut investierte. Ihr Mann, Rupert Perlin, lag gleich daneben. Man hatte ihm die Kehle mit solcher Wucht aufgeschlitzt, daß ihm der Kopf fast vom Körper getrennt worden war.
Manda winselte in Todesangst, während die brutalen Kerle sie zu Boden drückten. Sie grölten vor Lachen über ihr Gewinsele, waren in all dem Lärm jedoch kaum zu hören. Clarissa spürte, wie ihr die Tränen kamen. Das waren keine Menschen. Das waren wilde Tiere.
Ein Kerl packte Clarissa bei den Haaren. Ein anderer hakte ihr einen Arm ums Bein. Sie lachten, als ihr Schrei sich unter den der anderen mischte. Sie lag noch nicht ganz auf dem Rücken, da hatte man ihr den Rock schon hochgeschoben.
»Nein!« schrie sie.
Sie lachten sie genauso aus, so wie die anderen Kerle Manda auslachten. »Nein – man hat mich geschickt!«
»Gut«, erwiderte einer der Männer. »Ich war es leid zu warten, bis ich an der Reihe bin.«
Er versetzte ihr einen Schlag, als sie versuchte, seine Hände abzuwehren. Der Schmerz des deftigen Hiebs lähmte sie, daß ihr die Ohren summten.
Sie hatte einen silbernen Ring. Das mußte doch etwas bedeuten. Sie hatte einen silbernen Ring.
Keine zwei Fuß entfernt hörte sie eine Frau ächzen, als sich ein Mann auf ihren Rücken warf. Ihr hatte der Silberring auch nichts genützt.
»Mallack!« schrie Clarissa. »Kommandant Mallack hat mich geschickt!«
Der Kerl krallte
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