Der Tempel der vier Winde - 8
hatte Angst, es offen auszusprechen. Er fürchtete, ihr das Herz zu brechen.
»Berdine«, sagte Kahlan in das bedrückende Schweigen hinein, »Richard und ich werden vorerst nicht abreisen, um zu heiraten. Die Hochzeit ist aufgeschoben. Zunächst jedenfalls.«
Sie hatte die Worte leise gesprochen, und doch schienen sie von den marmornen Wänden widerzuhallen, als hätte sie laut gebrüllt.
Nadines gespannt aufmerksames Gesicht verriet mehr, als hätte sie gegrinst. Irgendwie war es schlimmer, daß sie es nicht tat, denn es zeigte nur um so offensichtlicher, daß sie ihr Mienenspiel zügelte, dabei hätte ihr niemand einen Vorwurf machen können.
»Aufgeschoben?« Berdine kniff erstaunt die Augen zusammen. »Warum?«
Richard starrte Berdine an. Er hatte Angst, Kahlan anzusehen. »Jagang hat eine Epidemie in Aydindril ausgelöst, Berdine. Darum ging es in der Prophezeiung unten in der Grube. Es ist unsere Pflicht, uns um die Menschen hier zu kümmern, nicht um uns selbst … Wie sähe das aus, wenn …?«
Er verstummte.
Sie ließ das Tagebuch sinken. »Das tut mir leid.«
32. Kapitel
Kahlan starrte aus dem Fenster hinaus in die hereinbrechende Nacht, in das Schneegestöber. Richard saß hinter ihr an seinem Schreibtisch, den goldenen Umhang über eine Lehne seines Stuhls gelegt. Er arbeitete zusammen mit Berdine an dem Tagebuch und wartete darauf, daß die Offiziere eintrafen. Meist redete Berdine. Gelegentlich antwortete er mit einem Brummen, wenn sie ihm sagte, was ein Wort ihrer Ansicht nach bedeutete und warum. So müde, wie er war, glaubte Kahlan nicht, daß er Berdine eine große Hilfe war.
Sie sah über die Schulter. Drefan und Nadine standen eng beieinander am Kamin. Richard hatte sie gebeten mitzukommen, um etwaige Fragen der Generäle zu beantworten. Nadine beschränkte ihre Aufmerksamkeit auf Drefan und vermied es, Richard oder gar Kahlan anzusehen. Wahrscheinlich weil sie wußte, daß Kahlan das siegessichere Funkeln in ihren Augen bemerken würde.
Nein. Das war kein Sieg für Nadine – sondern für Shota. Dies war nur ein Aufschub. Nur bis … bis wann? Bis sie eine Pestepidemie eindämmen konnten? Bis die meisten Menschen in Aydindril gestorben waren? Bis sie selbst die Pest bekamen und starben, wie es in der Prophezeiung vorhergesagt wurde?
Kahlan ging zu Richard und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie brauchte dringend seine Berührung. Dankbar spürte sie, wie er seine Hand über ihre legte.
»Nur ein Aufschub«, sagte sie leise, ganz nah an sein Ohr gebeugt. »Das ändert nichts, Richard. Versprochen.«
Er tätschelte ihre Hand und sah lächelnd zu ihr hoch. »Ich weiß.«
Cara öffnete die Tür und steckte den Kopf herein. »Sie kommen, Lord Rahl.«
»Danke, Cara. Laßt die Tür offen und bittet sie herein.«
Raina zündete im Kamin einen langen Fidibus an. Sie legte Berdine eine Hand auf die Schulter, um ihr Gleichgewicht zu halten, als sie sich an ihr vorbeibeugte, um eine weitere Lampe am anderen Ende des Tisches anzuzünden. Ihr langer, dunkler Zopf glitt von ihrer Schulter und streifte Berdines Gesicht. Berdine strich sich über die Wange und lächelte Raina kurz an.
Es geschah überaus selten, daß man sah, wie die beiden sich berührten oder ihre Zuneigung vor anderen offen zeigten. Doch Kahlan wußte, daß Raina nach diesem Tag Trost brauchte. So abstumpfend ihre Ausbildung auch gewesen war, so taub sie gegen selbst unerträgliche Schmerzen war, ihre menschlichen Gefühle standen im Begriff, wiedererweckt zu werden. Kahlan sah Rainas dunklen Augen an, wie sehr es ihr zusetzte, Zeuge des Leidens und des Todes von Kindern geworden zu sein.
Sie hörte, wie Cara draußen in der Eingangshalle die Männer bat einzutreten. Der muskulöse, ergrauende General Kerson, wie ehedem eine beeindruckende Erscheinung in seiner polierten Lederuniform, kam durch die Tür marschiert. Unter dem Harnisch, der seine Arme bedeckte, zeichneten sich seine Muskeln ab.
Ihm folgte der Befehlshaber der keltonischen Streitkräfte, der robuste General Baldwin. Er war ein älterer Mann mit einem weißgesprenkelten dunklen Schnauzer, dessen Enden bis zum unteren Rand seines Kinn reichten. Wie stets wirkte er vornehm in seinem grünen, mit Seide gefütterten Wollumhang, der mit zwei Knöpfen an einer Schulter befestigt war. Ein Wappen, das von einer diagonalen schwarzen Linie durchteilt wurde, die einen gelben und einen blauen Schild voneinander trennte, schmückte die Vorderseite seines hellbraunen
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