Der Tempel der vier Winde - 8
wissen, daß ihre Seele Frieden gefunden hat. Den hast du ihr schon im Leben gegeben, und deshalb hat sie mich gebeten, dich aufzusuchen.«
Richard rollte den Strafer zwischen seinen Fingern. »Euren Strafer habe ich Kahlan geschenkt. Wie ich Euch damals angekündigt habe, ist sie der einzige Mensch, der mir größeren Schmerz zufügen kann als Ihr.«
»Der einzige Mensch, der dir größeren Schmerz zufügen kann als ich, bist allein du selbst, Richard.«
»Ganz wie Ihr meint, ich will mich nicht streiten. Es tut gut, Euch zu sehen, Denna.«
»Vielleicht wirst du anderer Meinung sein, wenn ich mit dir fertig bin.«
Richard mußte lächeln, als ihr wahres Wesen selbst in ihrer Seelengestalt durchschimmerte. »Hier könnt Ihr mir nicht weh tun, Denna.«
»Glaubst du? Vielleicht nicht körperlich, aber weh tun kann ich dir ganz sicher.« Sie nickte, scheinbar zu sich selbst. »O doch, Richard. Ich kann dir weh tun.«
»Und wie das?«
Denna hob ihren Arm. »Ich kann dich zwingen, dich zu erinnern – und ich kann deine Erinnerung wieder Wirklichkeit werden lassen. Du und ich, wir haben eine gemeinsame Vergangenheit.«
Richard breitete die Hände aus. »Und welchen Sinn sollte das haben?«
Denna breitete ihre leuchtenden Arme aus. »Das liegt ganz bei dir, Richard.«
Ein Lichtblitz jagte durch seine Gedanken, dann verblaßte der Tempel der Winde in seinem Bewußtsein und war verschwunden. Er befand sich an einem Ort, den er wiedererkannte: das Schloß in Tamarang.
Er war tatsächlich wieder dort.
Er konnte das Entsetzen geradezu schmecken. Denna hatte ihn gefangengenommen. Sie hatte ihn tagelang gefoltert. Er hatte hohes Fieber und war geschwächt.
Jeder Schritt schmerzte, während er Denna durch den großen Speisesaal folgte. Seine Handgelenke waren von den Handschellen, mit denen sie ihn gewöhnlich an einen Dachbalken hängte, eingeschnitten und geschwollen. Sobald Denna stehenblieb, um sich mit jemandem zu unterhalten, richtete Richard den Blick wie gebannt auf ihren Zopf und wartete stumm hinter ihr.
Denna beherrschte sein Leben, sein Schicksal. Ihm war ausschließlich das erlaubt, was sie gestattete. Seit der Gefangennahme durch sie hatte er nichts mehr gegessen. Er sehnte sich danach, etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Was auch immer.
Das Durcheinander aus Unterhaltungen und Gelächter der Gäste der Königin ringsum dröhnte ihm im Kopf. Auch Denna war Gast der Königin. Richard, am Ende einer Kette, die von dem Ring um seinen Hals bis zu seiner Herrin reichte, war Dennas Gefangener.
Sie hatte ihm während der tagelangen Folter nicht erlaubt zu essen, und jetzt konnte er es nicht mehr. Als sie an der Tafel Platz nahm, deutete Denna, mit den Fingern schnippend, hinter ihrem Stuhl auf den Fußboden. Richard ließ sich, erleichtert, daß man ihm diese winzige Annehmlichkeit gewährte, nieder. Er durfte sich ausruhen. Er hing nicht in den Handschellen, man zwang ihn nicht, die ganze Nacht zu stehen, er wurde nicht gefoltert.
Die Gäste waren sämtlich mit Speisen beschäftigt. Die köstlichen Düfte setzten ihm zu. Sein Hunger quälte ihn. Alle anderen aßen, er jedoch mußte hinter Dennas Rücken auf dem Fußboden kauern und zusehen, wie andere sich gütlich taten – an Dingen, die man ihm vorenthielt.
Richard dachte an die Zeiten, als er mit Kahlan zusammen an Lagerfeuern gesessen und über dem Feuer gebratenes Kaninchen oder mit Beeren gesüßten Haferbrei gegessen hatte. Er leckte sich die Lippen, wenn er an das saftige, heiße, zarte, außen vom Feuer braune und knusprige Fleisch dachte. Er hatte diese Mahlzeiten mit ihr sehr genossen. Das Essen und die Gesellschaft hätten nicht besser sein können.
Jetzt verwehrte man ihm dies alles und spannte ihn in das Joch einer anderen Frau.
Nachdem alle eine Weile gespeist hatten, brachte ein Tischdiener eine Schale mit Haferschleim. Denna befahl ihm, sie Richard hinunterzureichen. Er hielt sie in seinen zitternden Händen. Früher hätte er sie angewidert weggestoßen, jetzt aber war dies alles, was er hatte.
Man zwang ihn, den Inhalt auf den Boden zu leeren und wie ein Hund zu fressen, während ihm das Gelächter der Gäste in den Ohren klang. Ihm war es gleichgültig. Endlich erlaubte man ihm zu essen.
Haferschleim, etwas anderes bekam er nicht, in diesem Augenblick jedoch, in seinem Zustand quälender Gier, schmeckte er wundervoll – er bedeutete die Erlösung von dem nagenden Hunger, die Erlösung von der Qual, anderen beim Essen zusehen
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