Der Tempel der vier Winde - 8
durch die Grenze brachte, damit ich Zedd aufspüren konnte. Hätte Darken Rahl die Zauberer gefangengenommen, hätte er sie mit Hilfe seiner ruchlosen Magie zwingen können, ihr Wissen preiszugeben.
Damit ich genug Zeit hätte, mein Ziel zu erreichen, töteten sich die Zauberer selbst. Trotzdem gelang es Darken Rahl, seine Meuchelmörder auf mich anzusetzen. Damals lernte ich Richard kennen. Er hat mich beschützt.«
»Beim Schartenberg?« fragte Nadine in ungläubigem Staunen. »Am Fuß des Felsens hat man vier tote Soldaten gefunden. Sie trugen Lederuniformen und waren bis an die Zähne bewaffnet. Niemand hatte je zuvor solche Soldaten gesehen.«
»Das waren sie.«
»Was war geschehen?«
Kahlan warf ihr einen Seitenblick zu. »Etwas Ähnliches wie das, was Euch mit Tommy Lancaster passierte.«
»Das war Richard? Richard hat diese Soldaten getötet?«
Kahlan nickte. »Zwei von ihnen. Einen weiteren überwältigte ich mit meiner Kraft, und der wiederum tötete den letzten. Wahrscheinlich war es das erste Mal, daß Richard Männern begegnete, die ihm nicht nur eine einfache Abreibung verpassen wollten, nachdem er beschlossen hatte, jemanden zu beschützen. Mich zu beschützen. Seit diesem Tag auf dem Schartenberg hat er eine Menge schwieriger Entscheidungen treffen müssen.«
Sie liefen weiter durch die finsteren, faulig riechenden Gänge, und es kam Kahlan vor wie Stunden, obwohl sie wußte, daß nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten verstrichen sein konnten. Die Gesteinsquader waren hier größer, manchmal so mächtig, daß sie vom Boden bis zur Decke reichten. Sie waren grob behauen, paßten aber nicht weniger exakt aufeinander als das mörtellose Mauerwerk an anderen Stellen des Palastes.
Außerdem waren die Gänge feuchter. Stellenweise lief das Wasser an den Wänden herunter und floß in kleine, mit Fliesen ausgekleidete Tropflöcher an der Seite des Fußbodens, der zu den Seiten leicht abfiel, damit das Wasser in die Abflußrinnen geleitet wurde. Einige der Abflußrinnen waren mit Unrat verstopft, so daß sich flache Pfützen hatten bilden können.
Ratten benutzten die gefliesten Abflußrinnen als Tunnelgänge. Sie stoben quiekend auseinander, sobald Geräusch und Licht näherkamen. Einige huschten in die Abflußrinnen, andere liefen weiter nach vorne. Kahlan mußte wieder an Cara denken und fragte sich, ob sie wohl noch lebte. Es schien einfach zu grausam, daß sie sterben sollte, bevor sie Gelegenheit bekam, das Leben zu genießen – ohne den Wahnsinn, der wie ein Schatten auf ihr lag.
Nach etlichen Abzweigungen war Kahlans Begleitung auf Nadine und zwei Soldaten geschrumpft. Der Gang war so schmal, daß sie im Gänsemarsch weitergehen mußten. Die niedrige Gewölbedecke zwang sie, sich zu ducken.
Kahlan sah nirgends Blut – wahrscheinlich benutzte Jagang die Kontrolle über Marlins Verstand, um zu verhindern, daß er weiter blutete – aber an mehreren Stellen entdeckte sie im schlimmen Dreck an den Wänden waagerechte Spuren. In dem niedrigen und engen Durchgang dürfte es schwer sein, die nahen Wände nicht zu streifen. Kahlan kam häufiger an die Wände, als ihr lieb war. Jedesmal, wenn sie mit der Hand auf der Schulter gegen die schmierigen Mauern stieß, schoß ein scharfer Schmerz durch ihren Körper. Marlin – Jagang – mußte durch denselben Gang gekommen sein und die Wand ebenfalls gestreift haben.
Sie empfand sowohl ein leicht berauschendes Gefühl der Erleichterung, daß sie ihm tatsächlich auf der Spur war, als auch eine schreckliche Angst bei dem Gedanken, ihn womöglich einzuholen.
Der gewölbte Durchgang wurde noch einmal schmaler und niedriger. Sie mußten tief in die Hocke gehen, um ihren Weg fortsetzen zu können. Die Flammen der Fackeln züngelten am Mauerwerk dicht über ihren Köpfen, und der Rauch kroch in Schwaden unter der Decke entlang und brannte ihnen in den Augen.
Dann begann der Gang steil abzufallen. Alle rutschten mehr als einmal aus und fielen hin. Nadine schürfte sich den Ellenbogen auf, als sie stürzte und dabei gleichzeitig versuchte, die Fackel nicht loszulassen. Kahlan wurde langsamer, blieb jedoch nicht stehen, während einer der Soldaten Nadine auf die Beine half. Die drei hatten sie rasch wieder eingeholt.
Weiter vorne hörte Kahlan Wasser rauschen.
Der enge Gang weitete sich zu einem breiten, röhrenähnlichen Tunnel. Wasser schäumte in einem reißenden Strom durch den runden Tunnel, der zum Abwassersystem unter dem Palast gehörte.
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