Der Tempel zu Jerusalem
Runde gemacht.
Vor sich zwei
Soldaten und hinter sich mehrere Dienerinnen, so nahte Nagsara in ihrer
Amtsrobe, die mit einer goldenen Fibel geschlossen war. Auf ihrem Haar blitzte
ein Türkisdiadem. Ihre Kleidung gab dem Besuch einen offiziellen Anstrich.
Balkis speiste auf dem Dach
ihres Holzpalastes zu Mittag. Eine Dienerin parfümierte ihr die Haare. Eine
andere schenkte neuen Wein in einen Becher. Anscheinend freute sich Balkis sehr
über den Besuch von Israels Königin. Sie erhob sich und verneigte sich.
«Welch schöne
Überraschung, Majestät! Verzeih meinen Aufzug… Wenn du dich angekündigt
hättest, ich würde dich mit dem deiner Stellung zukommenden Prunk empfangen
haben.»
«Bitte,
lassen wir doch dieses Zeremoniell, ja?»
«Darf ich
dich an meine Tafel bitten?»
«Ich habe weder Hunger noch
Durst.»
«Dann laß uns
unter dem Feigenbaum miteinander reden. In Israel symbolisiert er, glaube ich,
Frieden.»
Die beiden
Königinnen gingen den sanften Hang hinunter, der zum Obsthain führte. Wie zart,
fast zerbrechlich Nagsara doch wirkte! Die Sabäerin schlug der Ägypterin vor,
Umhang und Diadem abzulegen. Doch die weigerte sich knapp. Balkis setzte sich
zu Füßen eines Baums, Nagsara blieb stehen.
«Kehre nach
Hause zurück», forderte sie. «Deine Anwesenheit richtet Schaden an.»
«Deine Stimme
zittert», meinte Balkis. «Du bist erschöpft. Warum ruhst du dich nicht neben
mir aus?»
«Weil ich
dich verabscheue!»
«Das glaube
ich nicht. Du leidest, du bist unglücklich. Und du weißt, daß ich nicht dafür
verantwortlich bin.»
Kummer
bemächtigte sich Nagsaras Seele. Sie hatte sich auf eine heftige
Auseinandersetzung, einen so lebhaften Streit gefaßt gemacht, bei dem sie ihre
ganze Kraft gebraucht hätte, um die Gegnerin zu vernichten. Sie hätten sich
geschlagen, Nagsara hätte Balkis die Kehle zugedrückt und gedrückt, gedrückt…
Doch die Königin von Saba empfing sie gütig wie eine Schwester und überhaupt
nicht feindselig. Ihr Lächeln entwaffnete Nagsara, ihre Sanftheit bezauberte
sie.
«Ich werde
Salomo nicht heiraten», erklärte Balkis. «Er hat mich geliebt, ja, das ist
wahr, aber wie eine seiner Nebenfrauen. Was kann dir diese flüchtige
Leidenschaft ausmachen, dir, Israels Königin, die den Frieden zwischen Ägypten
und deinem Land gewährleistet? Zeige dich deiner selbst würdig, Nagsara. Du
spielst eine ungemein wichtige Rolle.»
Jetzt weinte
die Ägypterin und verbarg ihr Gesicht im Umhang. Balkis erhob sich und ergriff
sie sanft bei den Schultern.
«Setz dich
heben mich.»
Gebrochen
gehorchte Nagsara. Balkis nahm ihr das Diadem ab, trocknete ihre Tränen und teilte
eine Feige mit ihr.
«Wir sind
Frauen und Königinnen. Und es gibt nur eine Wahrheit: Salomo gehört dem Herrn
in der Wolke. Keine irdische Liebe wird sein Herz in Bann schlagen. Bewahre die
Augenblicke des Glücks in deinem Herzen, die du mit ihm gelebt hast. Ich werde
es auch so halten. Salomo ist mehr als diese Zeit und dieses Land, Nagsara; er
lebt in Räumen, die wir nicht kennen, in Gesellschaft von Engeln und Dämonen,
die ihm helfen, seine Nation zu schaffen.»
«Ich halte es
nicht aus, daß er mich nicht liebt.»
«Wer hält das
schon aus? Jede Frau, und du vor allen anderen, möchte ihn im Netz seiner
Leidenschaft halten. Aber das gelingt keiner.»
«Du… du verzichtest?»
Nagsara
weinte vor Erleichterung. Israels Königin war jetzt nichts weiter als ein
kleines Mädchen, das sich im Irrgarten seiner Torheit verlaufen hatte. Balkis
merkte, daß man nicht vernünftig mit ihr reden konnte. Sie hatte nur einen
Grund zum Überleben, nämlich ihren Glauben daran, daß sie Salomos Liebe
zurückerobern könnte.
«Ja, ich
verzichte», sagte Balkis ernst. «Sieh bitte in mir keine Rivalin mehr.»
«Bleibst du
noch lange in Jerusalem?»
«Einen Monat vielleicht. Ich
muß den König noch empfangen, damit wir unsere diplomatischen und
wirtschaftlichen Vereinbarungen abschließen können.»
Nagsara
sorgte sich schon wieder.
«Du… du
verführst ihn nicht mehr?»
«Hab keine
Angst.»
Die Ägypterin
hatte das Gefühl, in einen Wirbelwind geraten zu sein. Sie empfand Verehrung
für die Frau, die sie eigentlich hassen sollte. Doch Balkis gab ihr das
gestohlene Glück zurück. So hatte die Flamme gesiegt. Nagsara hatte ihr ihr
Leben und ihre Jugend angeboten und dadurch die Königin von Saba kaltgestellt.
Was machte es da aus, daß ihre Tage dahinflohen wie die Wüstengazelle, wenn
niemand sie mehr
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