Der Tempel zu Jerusalem
Angreifer. «Wenn du
dich zu wehren versuchst, muß ich dich töten.»
Hiram zwang
sich, ganz ruhig zu atmen und seinen Herzschlag zu verlangsamen, wie es ihm die
Ärzte im ägyptischen Haus des Lebens gezeigt hatten.
«Schön ruhig
bleiben, schön ruhig, mein Fürst, so ist es gut, sehr gut… Gewiß bist du reich,
und ich bin arm. Sehr arm. Ein einfacher Hirte, der sich jahrein, jahraus
abrackert. So arbeite ich gezwungenermaßen auch noch als Räuber! Du wirst mir
deswegen doch nicht böse sein, oder?»
Der Hirte
fuhr mit der Hand in Hirams Gürtel und holte die Silberstücke heraus.
«Wunderbar,
mein Fürst! Ein wahres Vermögen! Als ich dich gesehen habe, da habe ich ein
gutes Gefühl gehabt. Wegen der Hyänen und Schakale verliere ich nämlich viele
Schafe. Mein Leben ist die Hölle. In der Nacht beißt mich der Frost bis auf die
Knochen. Meine Gefährten plündern mich aus. Und dann die kranken Tiere! Und das
Lammen! Und die Schur!»
Hiram zuckte
zusammen. Die Klinge drang ein wenig tiefer.
«Ganz ruhig,
mein Fürst! Es ist lange her, daß ich Lust hatte, einen Reichen abzustechen,
ich, den sie Kaleb, den Hund, nennen. Früher habe ich auf der Straße von
Jerusalem nach Jericho Karawanen überfallen, aber Salomos Polizei ist mir zu
tüchtig geworden. Selbst die Händler, die mich dafür bezahlen, daß ich ihre
Konkurrenten beraube, haben mich vergessen. Heutzutage mache ich nur noch
selten Beute. Du, du bist ein Geschenk des Himmels.»
Der Esel
wieherte laut und erschreckte die Schafe. Sofort ließ Kalebs Aufmerksamkeit
nach. Diese winzige Schwäche reichte Hiram, er warf sich nach hinten, bohrte
seinem Angreifer den Ellenbogen in den Bauch und entwaffnete ihn.
Der
Oberbaumeister hatte mit mehr Widerstand gerechnet. Doch Kaleb war ein alter
Mann, der nicht mehr kämpfen konnte.
Er kroch bis
zu einer Trockensteinmauer und warf mit einem Stein nach Hiram, der jedoch
mühelos ausweichen konnte.
«Ich bin ein armer Mann!»
rief Kaleb. «Tu mir nichts zuleide!»
Und wie ein
Frommer hämmerte er auf seine Brust ein und senkte den Blick.
«Israel ist
unser Gott», psalmodierte er. «Gott ist das Ewige! Du sollst ihn von ganzem
Herzen, von ganzer Seele und mit ganzem Geist lieben. Du sollst die Gebote
Gottes ernst nehmen und vor allem das wichtigste darunter: Du sollst nicht
töten!»
«Das achte
auch ich», bekräftigte Hiram. «Jeder Mensch, der diesen Namen verdient, ist
heilig.»
Kaleb stand
auf und fiel vor dem Oberbaumeister auf die Knie.
«Glücklich
der Schoß, der dich getragen hat», sagte er froh, «gebenedeit die Brüste, die
dich genährt haben! Der Friede Gottes sei mit dir, du bist prächtiger als der
Wind und leuchtender als die Sonne!»
Hirams Miene
blieb ungerührt. Kaleb war sich fast sicher, daß er dem Tod entronnen war, doch
er hatte noch immer Angst, daß man ihm einen Arm abschneiden würde. Der
Reisende wirkte nicht gerade wie ein duldsamer Mensch. Der Oberbaumeister nahm
ein Armband ab, das mit einem goldenen Plättchen geschmückt war, auf dem in
Phönizisch sein Name stand.
«Nimm das
hier, Kaleb, und bringe es König Salomo. Sage ihm, daß ich drei Nächte und drei
Tage mitten im Ghor, unweit der Kobrahöhlen, auf ihn warte. Wenn er nicht
kommt, verlasse ich Israel für immer.»
Der Hirte
küßte dem Mann, den er nicht hatte ausplündern können, die Füße. Er nahm den
kostbaren Gegenstand in Empfang.
«Behalte die Silberstücke»,
sagte der Oberbaumeister. «Aber komme nicht auf den Gedanken, das goldene
Schildchen zu rauben und deinen Auftrag zu vergessen. Denn ich werde dich
finden, wohin du auch immer gehst. Und ein zweites Mal kommst du mir nicht
davon.»
Kaleb
beendete seine Ehrbezeugungen und stand auf. Als er sich entfernte, sah Hiram,
daß er hinkte. Die Schafe folgten ihrem Hirten unter Geblöke und Gedrängel.
Als sie den
Weg freigegeben hatten, ließ Hiram seinen Esel wieder los. Der Graue ließ sich
streicheln und schlug den Weg ein, der ihm am meisten zusagte. Hiram strebte
zum Ghor, der finstersten Gegend Israels.
Kapitel 1 8
Eine
Hornviper tauchte gut eine Elle vor Hiram
auf und schlängelte sich unter ein Dorngestrüpp. Der Oberbaumeister hatte sich
nicht vom Fleck gerührt. Seit drei Nächten und fast drei Tagen saß er beinahe
so unbeweglich wie der Fels und ließ sich weder von Eidechsen noch von
Schlangen aus der Ruhe bringen, die den Grund des Ghor aufsuchten und dem
Menschen feindlich gesinnt waren. Der Ghor war eine schmale,
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