Der Tempel zu Jerusalem
Tatbestand
richten.
Ein
beunruhigendes Gerücht machte den König noch besorgter: Hiram hatte sich
geweigert, der Leibwache freien Zutritt zu gewähren. Banajas freute sich
darüber. Er wollte angreifen, den Zaun niederreißen, die Bettler umbringen und
die Hoffart des Oberbaumeisters niederschlagen. Das waren Heldentaten, über die
man noch lange in Jerusalem reden würde.
Salomo saß in
der Klemme. Selbst wenn die Bruderschaft ihr gutes Recht verteidigte, selbst
wenn er gewiß war, daß Zadok hinter diesen Machenschaften steckte, so konnte er
es doch nicht dulden, daß man seine Oberhoheit in Frage stellte. Falls das Tor
zur Baustelle nicht aufging, würde er gezwungen sein, es gewaltsam zu öffnen.
Salomo hatte
einen bitteren Geschmack im Mund. Warum mußten sich die Menschen unaufhörlich
mit der Vergangenheit beschäftigen, warum hielten sie so an lächerlichen
Vorrechten fest und vergaßen, daß es gerade die Feier der göttlichen Gegenwart
war, in der ihr Heil lag? Mußte er sich wirklich mit Kleinlichkeit, mit
Palastintrigen, mit der Spaltung der Provinzen, mit inneren Streitigkeiten und
mit dummen Kriegen abfinden, bei denen nur das Leid Sieger war? Salomo war sich
bewußt, daß der Thron wackelte, den viele für unerschütterlich hielten. Israels
Priester hatten sich verschworen, einen Staat innerhalb des Staates zu
errichten, den der König durch die Schaffung eines neuen Tempels, einer neuen
geistlichen Hierarchie, einer neuen Begeisterung des Volkes für heilige Dinge
abbauen wollte. Zadok, der in den Feinheiten der Macht bewandert war und stark
auf sein beneidetes Amt setzte, hatte die Absichten des Herrschers erkannt und
war zum Angriff übergegangen.
«Im Namen des
Königs, macht auf!» befahl Banajas.
Die Leibwache
hatte sich um den einzigen Zugang zur Baustelle verteilt. Lanzen erhoben sich.
Die Priester ereiferten sich immer gehässiger. Zadok lächelte. Die
Unterbrechung dieses verfluchten Baus war durchaus einige Leichen wert. Israel
würde den Willen Gottes kennenlernen und erkennen, so ermahnte er Salomo, daß
auch ein König nicht ohne die Zustimmung des Hohenpriesters regierte.
Der Herrscher
zögerte, den Befehl zum Angriff zu erteilen. Der würde die Hoffnungen seiner
Regierung zerstören und ihn zu einer winzigen Spur in der Geschichte der
Menschheit machen. Der Gipfel würde verlassen daliegen, eine feindselige
Festung, die einem jungen König trotzte, der geglaubt hatte, unter dem Schutz
des HERRN zu stehen. Salomo war sich sicher, daß Hiram nicht vor der Gefahr
zurückweichen würde. Er würde seine Arbeiter mitreißen und sich lieber in einen
unsinnigen Widerstand stürzen, als das Gesicht zu verlieren.
Banajas
musterte Salomo. Der war jetzt zum Eingreifen verurteilt. Wenn er noch länger
zögerte, würde sein Ruf leiden.
Langsam öffnete sich das Tor
im Zaun.
Hiram trat
mit nacktem Oberkörper, einer roten Lederschürze um die Lenden und mit einem
schweren Holzhammer in der rechten Hand heraus.
«Wer wagt es,
meine Arbeit zu stören?»
«Erkennst du
mich nicht?» fragte Banajas. «Ich bin der Befehlshaber der königlichen
Leibwache. Ich will deinen gottlosen Diener verhaften.»
«Hinter
dieser Schwelle bist du gar nichts. Auf der Baustelle des Tempels gilt nur das
Recht der Erbauer.»
Banajas zog
das Schwert aus der Scheide. Der Baumeister zeigte nicht die mindeste Furcht.
Seine Finger schlossen sich um den Griff des Hammers.
«Kaleb, der
Hinkefuß, wird beschuldigt, gotteslästerliche Amulette versteckt zu haben. Das
Verbrechen ist eine Beleidigung Jahwes. Er muß exemplarisch bestraft werden.»
«Wer
beschuldigt ihn?»
Zadok
bedeutete einem Priester, aus der Reihe vorzutreten.
«Ich», sagte
dieser hämisch.
«Du bist kein
Arbeiter. Wie bist du hierhergekommen?»
Der Priester
wirkte verlegen.
«Das ist nicht weiter
wichtig», meinte Zadok.
«Im
Gegenteil», erwiderte Hiram. «Wie will man richten, wenn man nicht die ganze
Wahrheit kennt?»
«Sprich, Hoherpriester»,
forderte Salomo.
«Das Wort von
Jahwes Diener darf niemand anzweifeln. Diesem Priester ist es gelungen, Zutritt
zur Baustelle zu bekommen und den Beweis für die Gotteslästerung zu finden. Der
Baumeister will lediglich Salomos Urteil hinauszögern.»
«Eine Lüge», meinte Hiram.
«Niemand kommt durch das Tor zur Baustelle, außer mit Genehmigung des Wächters
vor der Schwelle. Er möge vor dieser Versammlung erscheinen.»
«Unnütz», protestierte der
Hohepriester.
«Es sei»,
sagte
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