Der Tempel zu Jerusalem
Salomo.
Der Wächter
der Schwelle, ein betagter Mann, näherte sich zögernden Schrittes.
«Hast du
diesen Priester vorbeigelassen?» fragte Hiram.
Der Wächter
der Schwelle warf sich dem Oberbaumeister zu Füßen.
«Ich habe den Silberschekel
genommen, den er mir angeboten hat. Er ist nicht lange geblieben… vergangene
Nacht…»
«Macht nichts!» fuhr Zadok
dazwischen. «Die Amulette sind vorhanden!»
Hiram ging bis zum Fuß des
Throns.
«Welcher
Richter würde Beweise akzeptieren, die man durch Bestechung erhalten hat?»
Zadok griff
ein.
«Majestät, höre nicht auf…»
«Es reicht»,
sagte Salomo. «Israels König befleckt nicht die Gerechtigkeit, für die er
einsteht. Dieser Prozeß kann nicht stattfinden. Die, die versucht haben, mich
bloßzustellen, werden es noch bereuen.»
Der
Hohepriester wagte nicht, etwas gegen das Urteil des Herrschers einzuwenden.
«Das
Geschehene ist bedauerlich», fuhr der König fort. «Aber es wird nicht wieder
vorkommen. Wer den Zaun der Baustelle ohne Meister Hirams Erlaubnis
durchbricht, dem wird der Fuß abgehackt.»
Und das Wort
des Königs wurde Gesetz.
Nagsara in ihrem Garten hörte
den Lärm, der von der Unterstadt und dem riesigen Zeltlager hochstieg, in dem
Hunderte von Fronarbeitern wohnten. Jetzt, da sie außer Lebensgefahr war,
erholte sich die Königin langsam von ihrer Verletzung. In dem Maße, wie ihre
Genesung Fortschritte machte, schränkte Salomo seine Besuche ein. Das Leben
stellte sich als bitterer heraus als die Krankheit. Mit zunehmender Gesundheit
entfernte sie sich von ihrem Gebieter. Wie ganz Israel sorgte sich Salomo nur
um den zukünftigen Tempel und vergaß die Liebe einer jungen Ägypterin mit allzu
fiebrigen Augen.
Dennoch war
sich Nagsara sicher, daß Salomo sie noch immer leidenschaftlich liebte. Sie
würde weiterhin gegen diesen Rivalen kämpfen, der immer stärker wurde, gegen
dieses Heiligtum eines Gottes, der eifersüchtig über sein Alleinrecht wachte.
Sie, eine Fremdländerin, trotzte diesem Symbol von Israels Ruhm. Sie, ein Wesen
aus Fleisch und Blut, widersetzte sich einem Leib aus Stein.
Mehrfach hatte
Nagsara die Flamme befragt, weil sie etwas über ihr eigenes Schicksal erfahren
wollte. Doch sie hatte nur vage Schatten sehen können, so als ob die Göttin
Hathor sich weigerte, ihr den Schlüssel zur Zukunft zu geben. Aber die Königin
ließ nicht locker.
Salomo sollte
ihr gegenüber nicht gleichgültig werden. Wie hoch auch immer der Preis, sie
würde hier und im Jenseits fest zu ihrem König stehen.
Kapitel 29
Der
Vollmond zur Frühlings-Tagundnachtgleiche
hatte wie in jedem Jahr das Passahfest eingeleitet. Mehr als hunderttausend
Menschen aus den Provinzen hatten ihre Städte und Dörfer verlassen und sich
nach Jerusalem begeben, um sich die Baustelle des berühmten Meister Hiram
anzusehen. Die Pilger strömten durch Gassen und Gäßchen und warfen nur einen flüchtigen
Blick auf die dicken Mauern und den alten Palast König Davids. Der Felsen, die
neue Zufahrtsstraße, das Zeltlager und der Bauzaun, der die kundigen Handwerker
von der Außenwelt abschirmte, erregten ihre Neugier.
Tausendundein Gerücht machte
die Runde. Jeder wußte mehr als der Nachbar, kannte einen Teil von Hirams
Geheimplan, beschrieb das zukünftige Gebäude und die Geheimriten, die im
Inneren des Zauns gefeiert wurden. Kein Schaulustiger, der nicht wußte, was
Salomo vorhatte, kein Spaziergänger, der nicht einen Schüler Meister Hirams
kannte, der ihm die vielen Rätsel erklärt hatte. Darüber wurde vergessen, daß
man mit Passah Moses’ Heldentat feierte, der sein Volk vor der Verfolgung
gerettet und es aus Ägypten geführt hatte. Man dachte nicht mehr daran, daß der
Racheengel allgegenwärtig war und die Gottlosen bedrohte. Setzte sich das ganze
Land nicht mit einem noch unsichtbaren Tempel gleich, so schön und prächtig,
wie ihn noch kein König ersonnen hatte?
Gebete
stiegen zu Jahwe hoch. Lämmer wurden geschächtet, ihr Blut wurde auf Haustüren
gespritzt, der Duft von brutzelndem Fleisch durchströmte die Hauptstadt.
«Gelobt sei der Name des HERRN, denn Er ist sehr freundlich», sangen die
Gläubigen bei den Festmählern, «Ehre sei Dir und nicht uns!»
Königin Nagsara,
die noch immer schwach war, hatte nur zu Beginn an den Zeremonien teilgenommen,
die im weiteren Verlauf weit weniger ausgelassen waren.
In Windeseile hatte sich eine
furchtbare Kunde verbreitet: Meister Hiram wollte Gottes Tempel nun doch
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