Der Tempel zu Jerusalem
nicht
bauen. Und in der Tat saß Salomo beim Fest allein, wo doch jedermann den
Baumeister an seiner Seite erwartet hätte. Man suchte Hiram überall, konnte ihn
aber nirgends erblicken, denn die Baustelle war über Passah geschlossen.
Arbeiter bestätigten, daß er sich nicht in der Zeichenwerkstatt versteckte.
Die
strahlende Miene des Hohenpriesters, den der König gemäß der Sitte ehrte,
bestätigte die schlimmsten Befürchtungen. Die kleinen Leute und der Adel wußten
um den Haß, den Zadok gegen Meister Hiram hegte. Zweifellos hatte er seine
Abreise erreicht. Und da Salomo sein Scheitern nicht eingestehen wollte,
versteckte er es hinter Schweigen. Die Fronarbeiter würden einer nach dem
anderen nach Hause geschickt werden, die Handwerker würden in ihre Provinzen
zurückkehren, der Bauzaun würde in wenigen Monaten abgebaut sein oder an Ort
und Stelle vermodern. Und der Felsen würde Jerusalem weiterhin mit seiner
Kahlheit herausfordern.
Während die
Becher der Zecher kreisten und von Hand zu Hand gingen, konnte es keinen
Zweifel mehr geben: Meister Hiram hatte die Baustelle verlassen, war den
Drohungen der Priester gewichen. Zweifellos war er nach Tyros zurückgekehrt.
Die
Propheten, die vorhergesagt hatten, daß kein König die Stadt Davids verändern
würde, hatten recht gehabt.
Die alte
Ordnung triumphierte.
Hiram ging durch ein
heranreifendes Feld. In der Nähe schwangen Bauern Sicheln, die mit ihren
gezackten Klingen durch grünes Gras fuhren.
Anup sprang
vor Hiram her und freute sich an der strahlenden Frühlingsluft. Am anderen Ende
des Feldes lagen Ähren auf einer Tenne, die geduldige Ochsen festgestampft
hatten. Auf einer Anhöhe errichtet, war die Tenne schon von weitem sichtbar.
Bauern machten mit Stacheln besetzte Dreschflegel zum Dreschen bereit, die dann
einen Haufen goldener Körner, Spreu und Stroh zurückließen. Kornschwinger
schärften die Spitzen ihrer Gabeln, mit denen sie das Gemisch in die Luft
warfen und es der Brise überließen, die Spreu vom Korn zu trennen. Das Stroh
flog fort, und auf der Tenne häufte sich das durch den Luftgeist gereinigte
Korn. Das lagerten die Bauern unter ihrem Dach, wo es vor Regen und Dieben,
Tieren oder Herumtreibern sicher war.
Meister Hiram
folgte seinem Hund und kam an der Tenne vorbei, wo die Tage in ewigem Gleichmaß
verliefen. Er durchquerte den Garten voller Feldblumen und kam zu dem Häuschen,
das er seit einigen Tagen bewohnte. Aus dem Keller, der neben dem Haus gegraben
war, holte er sich einen Schlauch frisches Wasser und einen mit Wein. Alsdann
röstete er auf einem Ofen im Freien Getreidekörner und buk sich ein Brot aus
feinstem Mehl, das er mit Kümmel würzte, und Honigküchlein. Anup trank und fraß
gierig. Hiram setzte sich unter einen Feigenbaum und verspeiste dort sein Mahl.
In Jerusalem
mußten jetzt die schlimmsten Beschuldigungen gegen ihn die Runde machen. Er war
ein Feigling und ein Flüchtling, oder? Er hatte Salomo verraten, oder? Er mußte
die Verachtung der im Stich gelassenen Arbeiter hinnehmen, die so grausam von
jemandem enttäuscht worden waren, den sie als Vater angesehen hatten, oder? Die
Verehrung, die der Oberbaumeister genossen hatte, war in Abscheu umgeschlagen,
sein Ruf für immer befleckt.
Anup bellte
und warnte Hiram vor einem Hausierer, der einen mit Teppichen, Tuniken und
Geschirr beladenen Esel zog. Der Wanderhändler war fast kahl, hatte dürre
Gliedmaßen, führte eine grobe Sprache und zog von Dorf zu Dorf.
«Was fehlt
dir, Gebieter?»
«Geh deines
Wegs», sagte Hiram.
Der Hausierer
hatte ein scharfes Auge. Der Mann da mochte zwar kein Kunde sein, aber er
brauchte ihn dennoch.
«Ich bin auch
Barbier, der beste in ganz Israel! Ich schneide Haare, ich parfümiere sie, und
ich stutze Bärte. Und was dich angeht, Gebieter, so bin ich gerade noch
rechtzeitig gekommen. Morgen hättest du schon nicht mehr wie ein menschliches
Wesen ausgesehen.»
Hiram
lächelte und überließ sich den Händen des Barbiers.
«Lebst du
hier allein?»
«Die Stille
ist mein Freund», erwiderte Hiram.
Der Barbier,
für den Klatsch der schönste Leckerbissen war, hielt sich zurück. Er witterte bei
diesem Mann eine gefährliche Kraft, die man besser nicht weckte. Und so
sammelte er sich auf das Haareschneiden.
«Ich habe
Jerusalem lange nicht gesehen», sagte Hiram. «Was ist in der Hauptstadt los?»
«Ein
furchtbarer Skandal! Der Baumeister des Tempels hat die Baustelle verlassen. Er
ist nach Tyros, in sein Heimatland,
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