Der Tempel
Race.
Die zwergenhaften Gestalten von Race und Renée eilten die beiden Hängebrücken hinab auf die Kontrollkabine zu.
Renée, die das Gewehr erhoben hielt, war ein wenig schneller als Race. Als sie jedoch etwa die halbe Strecke zurückgelegt hatte, sprang die Tür auf und Odilo Ehrhardt trat heraus.
Renée blieb wie erstarrt stehen.
Ehrhardt schob Dr. Fritz Weber vor sich her, benutzte den kleinen, um sich schlagenden Wissenschaftler als Deckung. Der Nazi hatte einen dicken Arm um Webers Kehle gelegt. Mit der anderen Hand hielt er eine halb automatische Glock-20-Pistole auf den Kopf des Wissenschaftlers gerichtet.
Tu’s nicht , bettelte Renée in Gedanken und versuchte, Ehrhardt durch ihren schieren Willen zu veranlassen, nicht den einzigen Mann umzubringen, der den Code zur Entschärfung der Supernova kannte.
Offenbar wünschte sie es nicht stark genug. Denn in diesem Moment, in diesem einzigartigen, Schauder erregenden Augenblick schenkte Odilo Ehrhardt Renée ein letztes, finsteres Lächeln und drückte ab.
***
Die Waffe ging los – laut und gewaltig hallte der Schuss durch den Krater.
Ein Geysir aus Blut explodierte aus der Seite von Webers Kopf und seine Gehirnmasse spritzte über das Geländer.
Sein Körper erschlaffte. Ehrhardt kippte ihn von der Brücke und Renée konnte lediglich benommen und entsetzt zusehen, wie der Leichnam fiel, immer weiter fiel, über zweihundert entsetzliche Meter, bis er schließlich mit einem gedämpften, fernen Plumps am Grund der Mine aufschlug.
Race vernahm den Pistolenschuss ebenfalls und eine Sekunde später erhaschte er einen Blick auf Webers Leiche, die in den Krater hinabsegelte.
»Mein Gott …«
Er beschleunigte seinen Schritt …
Odilo Ehrhardt war noch nicht fertig.
Nachdem er Webers Leichnam hinabgeworfen hatte, löste er die Druckschläuche, die die Hängebrücke mit der Kontrollkabine verbanden.
» Nein!« , kreischte Renée und ergriff das Geländer zu beiden Seiten.
Mit einem scharfen Zischen löste sich einer der Schläuche und das Geländer links von Renée fiel einfach weg.
Sie überschlug im Kopf ihre Möglichkeiten. Sie hatte keine Chance, die Kontrollkabine zu erreichen, ehe Ehrhardt die anderen drei Schläuche löste.
Da drehte sie sich um und lief los, rannte wie der Teufel zurück.
Erneut ein Zischen.
Eine weitere Verbindung löste sich und das andere Geländer fiel herab.
Noch zwei Verbindungen.
Renée lief jetzt, so schnell sie konnte – auf einer geländerlosen Brücke mehr als zweihundert Meter über dem Boden.
Ein paar Sekunden später löste sich die dritte Verbindung und die Bohlen unter ihr sackten nach links weg.
Dann, mit einem letzten zufriedenen Grinsen, öffnete Ehrhardt die letzte Verbindung und die gewaltige Hängebrücke, die jetzt nur noch mit dem nördlichen Rand des Kraters verbunden war, nicht mehr mit der Kabine in der Mitte, fiel, mit Renée Becker darauf, in den Abgrund.
Renée war nur noch etwa zwanzig Meter vom Rand entfernt, als die Brücke unter ihr wegsackte. Sobald sie sie nachgeben spürte, sprang sie vor, klammerte sich mit den Fingern an die stählernen Bohlen und hielt sich mit aller Kraft daran fest.
Die Hängebrücke krachte gegen die schräge Wand des Kraters. Renée prallte von der Erdwand der Mine ab, aber es gelang ihr irgendwie, sich festzuhalten.
Gerade als Renées Stimme über seine Ohrhörer dröhnte, erreichte Race die Tür am Ende seiner Hängebrücke.
»Professor, Renée hier. Meine Brücke ist unten. Ich bin aus dem Spiel, jetzt sind Sie dran.«
Prächtig , dachte Race. Genau das, was ich hören wollte.
Er holte tief Luft und packte sein Gewehr fester. Dann ergriff er den Türknauf, drehte ihn, stieß die Tür mit dem Lauf des G-11 auf …
… und löste den Stolperdraht aus.
Piep!
Race sah Ehrhardt, ehe er die Quelle des schrillen Pieptons erblickte.
Der große Nazigeneral stand auf der anderen Seite der Kontrollkabine, drüben an der nördlichen Tür, die Glock nachlässig an der Seite. Er lächelte Race an.
Links war die Supernova, deren verspiegelte Oberflächen glänzten. Das zylinderförmige Stück Thyrium steckte in dem Kern, der innerhalb einer luftdichten Kammer zwischen den beiden atomaren Sprengköpfen schwebte.
An der Wand neben der Supernova standen zwei Cray-YMP-Supercomputer, auf dem Fußboden daneben die beiden Behälter, die zum Transport der Sprengköpfe benutzt worden waren. Das Götzenbild, jetzt mit einem Hohlraum an der Basis, lag achtlos auf
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