Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
einfallen.
»Verzeihung«, sagte die Frau. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Sie war gut gekleidet und hatte sich schick zurechtgemacht, deshalb ging Michelle davon aus, dass sie ernsthaft an dem Haus interessiert war. Sehr gut.
»Kein Problem«, sagte Michelle. »Ich habe Sie nur nicht kommen hören.«
Sie schüttelten sich die Hand.
Michelle zeigte auf den Raum, der schummrig erhellt wurde von dem trüben Licht, das durch den oberen Teil mehrerer hoher, schmutziger Fenster drang. Die restlichen Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Lampen gab es keine. »Die Besitzer haben sich eine ganze Weile beraten und sind jetzt bereit, das Gebäude zu verkaufen.«
»Es war eine Kirche«, sagte die Frau. Es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.
»Ja«, erwiderte Michelle. »Ich glaube, hier war die Kapelle, als nebenan noch das Krankenhaus stand. Ich weiß nicht, ob es jemals eine richtige Kirche war, in die die Menschen sonntags zur Messe gingen.«
Michelle fragte sich, warum sie das hinzugefügt hatte. Wenn sie eines von Ray Rudolph, ihrem Chef und Mentor, gelernt hatte, dann die Regel: Alles, was du sagst, nachdem ein Kunde Ja gesagt hat, führte nur dazu, dass du ihm den Kauf wieder ausredest.
»Gibt es hier einen Keller?«, fragte die Frau.
Michelle blickte auf ihre Objektbeschreibung. »Ja, den gibt es«, sagte sie. »Aber da ich noch nie in diesem Haus war, weiß ich nicht, wo die Treppe ist. Sehen Sie sich doch ein wenig um, dann suche ich inzwischen den Keller.«
Michelle durchquerte den großen Raum, ging einen Flur entlang und entdeckte auf der rechten Seite ein kleines Zimmer, das früher offenbar als Küche genutzt worden war. Aus dem mit alten Fliesen ausgelegten Boden ragten Gasrohre, auf deren Enden Verschlusskappen saßen. Hinter dem Zimmer befand sich eine Tür. Michelle öffnete sie und entdeckte die Treppe, die in den Keller führte. An der Seite war ein Lichtschalter. Sie betätigte ihn, froh, dass die derzeitigen Besitzer den Strom noch nicht abgemeldet hatten.
»Ich habe den Keller gefunden«, rief sie.
Keine Antwort.
Sie drehte sich um und erschrak heftig. Die Frau stand bereits hinter ihr. Michelle versuchte, ihre Verwunderung zu verbergen.
»Möchten Sie sich den Keller anschauen?«, fragte sie.
»Sehr gern.«
Michelle betete, dass das Kellergeschoss in einem guten Zustand war und dass sie dort keine geplatzten Wasserrohre, keine Obdachlosen und keine Ratten zu sehen bekamen.
Sie ging voran, als die beiden Frauen langsam die Treppe hinunterstiegen. Der Keller war so groß wie die Kapelle im Erdgeschoss und durch eine halbhohe Wand in zwei Teile geteilt. Es gab keine Kellerfenster, nur zwei nackte Glühbirnen in schmutzigen Porzellanfassungen. In einer Ecke lag eine alte, fleckige Matratze.
Während Michelle sich noch in Gedanken damit befasste, das Geschäft abzuwickeln, spürte sie plötzlich einen heftigen Schmerz im Rücken, links, genau unterhalb des Schulterblattes. Es fühlte sich an, als hätte eine Biene sie gestochen.
Sie drehte sich um.
Die Frau hielt eine Spritze in der Hand.
Hatte die Frau ihr eine Spritze gegeben?
Michelle musste nicht lange darüber nachdenken, ihr zentrales Nervensystem beantwortete die Frage. Zuerst spürte sie es in den Beinen – eine Taubheit, die aus dem Boden aufzusteigen schien und nach und nach jeden Teil ihres Körpers erfasste.
»Was … was haben Sie mit mir gemacht?«
Die Frau antwortete nicht. Stattdessen starrte sie an Michelle vorbei in den kleineren der beiden Räume, der in Dunkelheit getaucht war.
»Da ist jemand, der Sie treffen möchte«, sagte sie. »Er hat lange darauf gewartet.«
Michelle Calvin brach zusammen, und vor ihren Augen drehte sich alles.
Dann umfing sie Dunkelheit.
*
Eine eisige Brise. Sie lag auf der Matratze. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Michelle Calvin wusste nicht einmal, ob sie den Mund überhaupt geöffnet hatte.
War das ein Traum?
Nein. Es war kein Traum. Michelle wusste es genau. Ebenso wie sie mitunter wusste, dass sie träumte und sich in einem Reich aufhielt, in dem ihre Sinne ungewöhnliche Dinge wahrnahmen. Aber dann hatte sie wenigstens die Gewissheit, den Traum beenden zu können, sobald sie die Augen öffnete.
Diesmal waren ihre Augen geöffnet.
Es geschah wirklich.
»Sie war eine Prinzessin, wissen Sie«, sagte die Frau. »Sie wurde als Hure gebrandmarkt, weil sie sich hübsche Kleidung anzog und ihr Gesicht und den
Weitere Kostenlose Bücher