Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
ohne. Der offene Karton schien bis obenhin mit Papieren gefüllt zu sein.
Shane tat so, als würde er telefonieren, als er sich gegen den Wagen lehnte und heimlich so viele Fotos wie möglich von der Rückbank und den Vordersitzen machte.
Dann ging er zu seinem eigenen Wagen und schaute sich vorsichtig um. Der große Cop war nirgendwo zu sehen. Shane blickte auf das Handy, scrollte durch die Fotos. Es war größtenteils uninteressant – bis auf die Zeitungsausschnitte oben in der offenen Kiste. Eine der Schlagzeilen lautete:
W ER IST DER J UNGE IN DEM ROTEN M ANTEL ?
Als Shane beim Fernsehsender ankam, hatte er die Schlagzeile noch immer im Kopf. Er setzte sich an einen Computer und suchte nach Informationen.
Es gab viel Material über den Jungen im roten Mantel, wenn auch nicht annähernd so viel wie über Philadelphias rätselhaftesten Fall – den Jungen im Karton, einem vier oder fünf Jahre alten Mordopfer, das 1957 in Fox Chase in einem Karton gefunden worden war. Der Mord konnte nie aufgeklärt werden.
Der Fall des Jungen im roten Mantel hingegen war nicht als Mord eingestuft worden, daher hatten damals die Detectives des Polizeibezirks die Ermittlungen geführt, hatten Anwohner befragt und versucht, die Identität des Jungen herauszufinden. Sie hatten mit Hunderten von Leuten aus der Nachbarschaft und dem Pfarrbezirk gesprochen. Ein Foto des Jungen war in nationalen und internationalen Medien veröffentlicht worden, aber niemand hatte sich gemeldet.
Warum lagen die Unterlagen auf der Rückbank von Detective Byrnes Wagen? Wollte er einen zwanzig Jahre alten Fall neu aufrollen? Hatte dieser Fall etwas mit der Mordserie zu tun, die zurzeit in den Kirchen verübt wurden?
Vielleicht fand Shane ja doch etwas in Byrnes Müll.
Vielleicht würde er heute Nacht noch einmal zu Byrnes Haus zurückkehren.
35.
In ihrem Traum kann sie sich nicht bewegen. Sie kann sehen, aber Arme und Beine gehorchen ihr nicht. Sie ist in einem großen, zugigen Raum. In der Ferne hört sie Gesang. Lateinischen Kirchengesang. Sie hebt den Blick und sieht eine große Gestalt im Schatten stehen. In einer Hand hält sie eine Rolle Stacheldraht, in der anderen eine Handvoll weiße Steine. Plötzlich begreift sie, dass sie auf dem Rand einer alten, mit Eis gefüllten Aluminiumwanne sitzt. Es gelingt ihr, sich zur Seite fallen zu lassen. Als sie in die Wanne schaut, sieht sie dort einen erfrorenen Säugling liegen.
Aber es ist nicht Cecilia Rollins.
Es ist Sophie.
*
Schweißgebadet wachte Jessica auf. Sie war aufgedreht, völlig durcheinander, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie drehte sich um und sah, dass Vincent schlief, so tief und fest wie immer. Gut, dass Philadelphia nicht so oft von Hurrikans heimgesucht wurde. Vincent Balzano würde nichts davon mitbekommen und an einem Strand in South Carolina aufwachen.
Auf der Rückfahrt von West Virginia gelang es Jessica mit einiger Mühe, wach zu bleiben, vor allem, weil Byrne von seiner Auseinandersetzung mit DeRon Wilson erzählte. Byrne konnte furchtbar wütend werden, aber seit Jessica ihn kannte, hatte er nur wenige Male die Nerven verloren. Er erzählte ihr, die Vorgesetzten hätten ihn dazu verdonnert, einen Psychologen aufzusuchen. Der sollte sich ein Bild von ihm machen, ehe der Captain mit ihm sprach und entschied, ob der Vorfall Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Als sie ins Roundhouse zurückkehrten, war Jessica vollkommen erledigt. Sie fuhr nach Hause, aß etwas, badete und lag um zehn Uhr im Bett.
Jetzt war sie hellwach.
Sie stand auf und schaute nach Sophie und Carlos. Beide Kinder schliefen wie die Murmeltiere.
*
Jessica öffnete die Tür des Einbauschranks und blickte auf zahlreiche Kartons, Körbe und Plastikkisten. Sie hatte sich vorgenommen, all diese Dinge irgendwann durchzusehen und das, was sie nicht mehr brauchte, auszusortieren. Leider war sie ziemlich sentimental. Als sie vor einem Jahr wieder nach Süd-Philadelphia gezogen waren, hatte sie zehn große Müllsäcke voller Dinge, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten, sowie zwei DIN-A4-Kartons voller Weihnachts- und Grußkarten weggeworfen. Nur einen kleinen weißen Karton mit Karten hatte sie aufbewahrt.
Mit diesem Karton ging Jessica nun in die Küche, setzte sich und öffnete ihn. In einem kleinen Lederbeutel lag der weiße Rosenkranz von ihrer Erstkommunion, außerdem ein paar Dutzend Gebetskarten, größtenteils von der St. Pauls Church.
Die beiden Karten, die Jessica am meisten
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