Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
halben Dutzend Ärzten und Verantwortlichen gesprochen, die alle von dem unbekannten Baby gehört hatten. Keiner von ihnen hatte in dem Zeitrahmen, als der Mord geschah, einen zwei Monate alten Säugling mit heller Hautfarbe behandelt. Mehr als neunzig Prozent der Kinder in den Ambulanzen in Nord-Philadelphia waren Hispanoamerikaner oder Afroamerikaner.
Die letzte Ambulanz in Nord-Philadelphia auf Jessicas Liste war die St.-Julius-Ambulanz, die von der Gemeinde betrieben wurde. Als Jessica die Klinik betrat, war sie müde und hungrig. Viel Hoffnung hatte sie nicht, dass ihre Recherchen zu etwas führten, aber sie musste es versuchen.
Die St.-Julius-Ambulanz befand sich in einem umgebauten, zweistöckigen Reihenhaus. Auf der einen Seite war ein Secondhandshop, auf der anderen ein Beerdigungsinstitut. Jessica trat ein. Auf dem Boden des kleinen, vollen Wartezimmers lagen verzogene PVC-Fliesen, an den Wänden hingen Poster mit Sehenswürdigkeiten der Stadt. Zwei hochschwangere junge Latinas saßen nebeneinander. Jessica schätzte sie auf gerade mal siebzehn Jahre. Ihnen gegenüber saß ein junger Schwarzer, der sich ein blutgetränktes Geschirrtuch auf die Stirn drückte.
Für viele Menschen in diesem Viertel und in diesem Teil der Stadt stellte die Ambulanz die einzige medizinische Versorgung dar. Katholische Krankenhäuser wurden von Orden betrieben, wie zum Beispiel das St. Mary Hospital von den Franziskanern. Die Erzdiözese selbst betrieb keine Krankenhäuser oder Ambulanzen in Philadelphia. Die wenigen, die es gab, wurden von den jeweiligen Gemeinden geführt.
Jessica ging zu der jungen Frau an der Rezeption, zeigte ihren Dienstausweis und bat, mit einem Verantwortlichen sprechen zu dürfen. Die junge Frau erklärte, sie werde Ted Cochrane verständigen, der aber noch drei schwer kranke Patienten versorgen müsse; es könne eine Weile dauern.
Nach ungefähr zehn Minuten kam ein junger Mann aus einem Zimmer hinten auf dem Gang. Er war groß und sportlich, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Der Mann sprach mit der jungen Frau an der Rezeption. Sie zeigte auf Jessica. Der Mann nickte, unterschrieb ein paar Unterlagen und kam dann zu Jessica herüber.
»Ich bin Ted Cochrane«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?«
Jessica stellte sich vor und fragte: »Sind Sie Arzt?«
Cochrane lächelte. »Noch nicht. Ich bin Krankenpfleger und beginne im Herbst mit dem Medizinstudium.«
»Können wir irgendwo unter vier Augen sprechen?«
»Sicher. Kommen Sie bitte.« Er informierte die junge Frau an der Rezeption und zeigte auf eine Tür am Ende des Gangs. Die junge Frau nickte.
Cochrane führte Jessica in ein kleines Behandlungszimmer, das einen verwahrlosten Eindruck machte. An der Wand hing eine Flasche mit Desinfektionsmittel. Cochrane drückte Desinfektionsschaum aus dem Spender, rieb sich die Hände damit ein und lehnte die Tür an, ohne sie zu schließen.
»Was kann ich für Sie tun, Detective?«
»Vielleicht könnten Sie mir zuerst einmal sagen, welche medizinische Versorgung Sie hier anbieten.«
»In etwa das, was die Notaufnahmen in den Krankenhäusern anbieten. In der Regel sind wir die erste Anlaufstelle für die Patienten. Normalerweise ist sechs Stunden am Tag ein Arzt anwesend, aber heute wurde er wegen einer dringenden Operation ins Temple University Hospital gerufen.«
Jessica schaute auf das Kruzifix an der Wand. »Welche Rolle spielt die Religion hier?«
»Eine so große oder so kleine Rolle, wie die Patienten es wünschen. Wenn sie es wollen, gar keine. Wir werden zum Teil von der Gemeinde finanziert, aber der Glaube an Gott ist keine Voraussetzung für die medizinische Versorgung.«
»Wie bei den Anonymen Alkoholikern?«
»Ganz genau. Das Verkünden des Evangeliums beschränkt sich bei uns auf die Broschüren im Wartezimmer. Wir wollen niemanden bekehren.«
»Sind Sie katholisch?«
Cochrane lächelte. »Nein, ich wurde im methodistischen Glauben erzogen.«
»Wie sieht es hier mit der speziellen Behandlung von Säuglingen und Kindern aus?«
»Wir machen hier fast alles. Schwangerschaftsvorsorge und -nachsorge, Kinderheilkunde bis hin zur Geriatrie.«
»Und wie sieht es mit psychischen und geistigen Erkrankungen aus?«
»Auf jeden Fall. Familienberatung, Drogenberatung, Gruppen- und Verhaltenstherapie.«
»Haben Sie ausgebildetes Personal für all diese Angebote?«
Er lächelte wieder. »Leider nicht. Wir haben allerdings das Glück, dass die katholischen Krankenhäuser uns kostenlos
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