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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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dessen sie sich nun entledigten, so gut oder schlecht es ging. Ich muß hier anmerken, daß ich weder bei meiner ersten Internierung in Toulon und in Les Milles, noch bei meiner zweiten in Les Milles und in Nîmes irgend etwas erlebt oder gesehen hätte, das man als Grausamkeit oder auch nur als schlechte Behandlung hätte bezeichnen können. Niemals wurde geschlagen oder gestoßen oder auch nur geschimpft. Der Teufel in Frankreich war ein freundlicher, manierlicher Teufel. Das Teuflische seines Wesens offenbarte sich lediglich in seiner höflichen Gleichgültigkeit den Leiden anderer gegenüber, in seinem Je-m’en-foutismus, in seiner Schlamperei, in seiner bürokratischen Langsamkeit.
    Immer klarer erkannten wir das Wesen dieses Teufels. Daß er solcher Art war, war schlimmer, als wenn er grausam und böse gewesen wäre. Gegen Grausamkeit und Tücke hätte man leichter angehen können als gegen Schematismus und Schlamperei. Es war ein weicher, molluskenhafter Teufel, der Teufel in Frankreich; wenn man ihn anpackte, leistete er keinen Widerstand, sondern zog sich zurück, doch nur, um sich an anderer Stelle auszubreiten. Er war der große Krumme des Peer Gynt.
    Bewußt wurde das nur wenigen von uns, doch alle spürten es. Wohl sprach man noch davon, daß die Siebungskommission kommen werde, aber ernsthaft rechnete keiner mehr damit. Vielmehr richtete man sich darauf ein, daß unser Zustand dauern werde, und paßte sich an. Die Ohren gewöhnten sich an das Gefluche und Gefurze, die Zunge ans Brom, die Nase an den Dunst der Latrinen. Nur das Herz begehrte noch zuweilen auf und wollte sich nicht daran gewöhnen, daß dieses stumpfe, sinnlose Dasein nun ohne Ende weitergehen sollte.
    Immer quälender wurde die Unwissenheit über das, was man mit uns vorhatte. Keine Post kam, nichts war zu erfahren. Das einzige, was feststand, war, daß sich die politische und militärische Situation Frankreichs von Tag zu Tag verschlimmerte.
    Wir sagten uns, innerhalb der Ereignisse, die sich jetzt überstürzten, hätten die Stellen, auf die es ankam, bestimmt keine Zeit, sich um uns zu kümmern und Entscheidungen über unser Schicksal zu treffen. Wir hatten das lähmende Gefühl, wir seien von der Außenwelt vergessen. Viele klagten, wir würden hier vermodern und verkommen, ohne daß irgendwer draußen darum wüßte.
    Ich glaubte das nicht. Ich rechnete zuversichtlich damit, daß meine Freunde draußen in der Freiheit für mich arbeiten würden.

    Die Schiffe
von Bayonne
    Verflucht sei dein Eingang und verflucht sei dein Ausgang. Der Herr wird dich hinschmettern vor deine Feinde. Einen Weg wirst du ausziehen gegen sie, und auf sieben Wegen wirst du vor ihnen fliehen. Am Abend wirst du sprechen: Oh, wäre es Morgen, und am Morgen wirst du sprechen: Oh, wäre es Abend.

    Ich habe zu Anfang dieses Buches von dem kleinen Zimmer erzählt im Erdgeschoß meines Hauses in Sanary, wo der Radioapparat stand. Vor diesem Radioapparat habe ich merkwürdige Erlebnisse gehabt. Der Apparat war meine Verbindung mit Deutschland, mit meiner Heimat, mit meiner Heimatstadt München. Sonderbar klangen aus diesem Apparat Stimmen von Menschen, die man lange nicht gesehen, doch nicht vergessen hatte, von Schauspielern, die einmal in meinen Stücken gespielt hatten und die jetzt Nazisprüche herunterleierten. Der Apparat berichtete von Orten, die man sehr genau kannte, und von widerwärtigen Kundgebungen, die jetzt dort stattfanden. Hier lag ich, in der guten Sicherheit Frankreichs, auf meiner Ottomane und hörte zwiespältigen Gefühles mit an, wie irgendein Minister oder sonstiger Funktionär der Nazis sinnlos gegen mich wetterte.
    An diesem Radioapparat war mir, kurz bevor ich mein schönes Haus mit dem Konzentrationslager hatte vertauschen müssen, die Nachricht entgegengeschmettert von dem Zusammenbruch Belgiens. Die Nazis hatten die Meldung barbarisch effektvoll aufgemacht. Zuerst brachten sie die üblichen Siegesnachrichten, dann forderten sie auf: »Bleiben Sie am Apparat, wir bringen Ihnen in etwa fünf Minuten eine wichtige Son dermeldung.« Man wartete unbehaglich. Dann, nach etwa fünf Minuten, hieß es: »Wir bringen Ihnen jetzt eine Sondernachricht der Obersten Heeresleitung. Deutsche Truppen sind soeben in die belgische Stadt Löwen eingezogen.« Und gespielt wurde jenes sentimental-schmissige Lied: »Gib mir deine Hand, deine weiße Hand, denn wir fahren, denn wir fahren, denn wir fahren gegen Engeland.« (Mit seinem dummen Archaismus, mit

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