Der Teufel in Frankreich
lieber G.«, wies ihn schließlich unser stiller junger Organisator zurecht, »es heißt le Rhône, das Wort ist maskulin. Aber es wäre trotzdem nett von Ihnen, wenn Sie uns die Rhône sagen ließen.«)
Über die Brücke also mußten wir. Nun führten aber südlich von Les Milles keine Brücken mehr über die Rhône (beziehungsweise über den Rhône). Wir mußten also nach Norden. Nach Norden, das hieß, den HitlerTruppen entgegen. Keineswegs somit waren wir in Sicherheit. Die Hitler-Truppen waren nahe, die HitlerTruppen waren schnell, und es war sehr die Frage, wer zuerst die Rhônebrücke erreichen würde, die Deutschen oder wir.
Der Zug fuhr entsetzlich langsam und hielt jeden Augenblick. Endlich, endlich kamen wir nach Arles, und hier war die Rhônebrücke.
Wir fuhren aber nicht über die Brücke, vielmehr fuhr der Zug über die Station Arles hinaus, und dann hielt er auf einem Nebengeleis, auf freiem Feld.
Es war jetzt schon ziemlich spät am Nachmittag, wir waren noch immer diesseits der Rhône, und der Zug hielt und machte durchaus keine Anstalten weiterzufahren.
Dafür aber erlaubte man uns jetzt auszusteigen.
Wir kletterten hinaus, und da war Grünes, und da war ein kleines fließendes Wasser, und da kamen Bauern, uns Aprikosen zu verkaufen, schlechte, saure, halbreife Aprikosen. Aber wir hatten Durst, wir kauften sie, und sie schmeckten uns. Ein sanfter Abhang führte hinunter zu dem kleinen Fluß, der Abhang war grün, bewachsen mit Buschwerk und frischem, hohem Gras. Wir hatten so lange nichts gehabt als den staubigen Hof. Jetzt hockten wir uns ins Gras oder streckten uns darin aus und atmeten den erquickenden Geruch des Grases und des kleinen Flusses. Es war herrlich.
Zwei Stunden beinahe dauerte diese Rast. Wir waren sehr früh aufgestanden und den ganzen Tag auf den Beinen gewesen, voll Erwartung und voll Erregung, wir waren müde, die meisten schliefen im Gras. Es war eine gute Rast. Allein es war auch eine gefährliche Rast, und jede ihrer Minuten erhöhte die Gefahr; denn mit jeder Minute kamen uns die Hitler-Truppen näher. Doch das Glücksgefühl, nach so langer Entbehrung auf einem grünen Hang zu liegen, mauerlos, unter hellem Himmel, ließ keine Angst hochkommen, und fast bedauerten wir, als es hieß: »Zurück in die Wagen.«
Und dann fuhren wir über die Brücke. Es war eine lange Brücke, wir schauten sie genau an, sie war zur Sprengung vorbereitet.
So, und jetzt waren wir am andern Ufer der Rhône und, zumindest für einige Tage, in Sicherheit.
Doch wir genossen dieses Gefühl der Sicherheit nicht so tief, wie wir erwartet hatten. Es hatte zu lange gedauert, ehe man uns von unserer Angst befreit hatte, und die Befreiung war in zu vielen kleinen Etappen erfolgt. Auch brach bald die Nacht ein, und die Mühsale dieser Nacht sollten den letzten Rest jedes Glücksgefühls erdrücken.
Als die Nacht einbrach, wagten unsere algerischen Wachen nicht länger, die Tür, entgegen der Vorschrift, offenzuhalten. Sie schoben sie zu, unser Käfig schloß sich.
Daß man hätte liegen können, daran war nicht zu denken. Aber es war auch viel zuwenig Platz, als daß alle hätten sitzen können. Der junge Organisator mit dem Knabengesicht fand eine Lösung. Es sollten je zwanzig Mann je zwei Stunden sitzen und schlafen und dann weiteren zwanzig ihre Plätze abtreten. Er hatte eine ruhige, bestimmte Art, und Abzählung und Einteilung wurden rasch und ohne Reibung vorgenommen.
Die zwei algerischen Wächter legten sich quer vor die Tür. Die ersten zwanzig von uns hockten oder setzten sich die Wände entlang, so gut es ging. Es ging nicht gut.
Wir andern standen. Der Wagen war voll von Dunkelheit, Kälte und Gestank. Der Zug ratterte. Wir schwankten hin und her mit der Bewegung des Zuges.
Man schloß die Augen, man döste, aber man kann nicht schlafen im Stehen. Auf die Dauer ist es eine Tor tur, im Dunkeln aufrecht zu stehen, todmüde und ohne Schlaf. Du trittst von einem Fuß auf den andern, du machst eine Bewegung, die den Nachbarn stört, du lehnst dich an den Vordermann, an den Hintermann, der lehnt sich an dich. Ein Gepäckstück fällt herunter, einer von den Stehenden tritt einem der Hockenden auf die Füße. Ständig reißt Lärm an den Nerven, leises, dann wieder lauteres Gefluch, Gestöhn, Geschnarch.
Regen hatte eingesetzt, es wurde immer kälter. Die Fugen des Wagens waren undicht, der Boden, vor allem in der Nähe der Wände, war naß. Wir Stehenden schaukelten hin und her, dicht
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