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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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hätten vielmehr die Richtung nach Bordeaux eingeschlagen. »Kommen Sie«, drängte er.
    Wir hasteten den Zug entlang, vor, zum Waggon des Kapitäns. Wollte der Zug denn gar kein Ende nehmen? Endlich langte ich an. Da waren schon einige von uns. Der Kommandant stand auf dem Trittbrett seines Wagens, die von uns starrten schreckerfüllt zu ihm hinauf. Als er mich sah, sagte er: »Hören Sie, Monsieur, sagen Sie Ihren Kameraden, wir müssen zurück. In zwei Stunden werden die Deutschen in Bayonne sein. Verhüten Sie Panik.«
    »Verhüten Sie Panik.« Das war leicht gesagt. Ich selber war ruhig. Ich zwang mich zur Ruhe. Aber schon war rings um mich aufgeregtes Geschrei, Gejammer, empörte Klagen. Es war also gekommen, wie wir befürchtet hatten. Die Franzosen waren zu spät daran, wie immer. Wir waren zu spät daran. Wir hatten es gleich gesagt. Doch Empörung und Anklagen führten nicht weiter. Was sollten wir tun? Die spanische Grenze war in unmittelbarer Nähe. War es nicht das gescheiteste, sich einfach dem Strom der Flüchtlinge anzuschließen und zu versuchen, ob man über die spanische Grenze entkommen konnte? Hundert Erwägungen wurden angestellt, hundert überstürzte Vorschläge gemacht. Man solle auf das amerikanische Konsulat gehen, sich dort Rat holen, Rettung, Hilfe. Hier im Zug zu bleiben sei unsinnig. Sich auf eigene Faust durchschlagen müsse man ohne die Franzosen. Die Franzosen hatten versagt. Kläglich und immer wieder. Auf sie weiterzubauen sei Narrheit.
    Narrheit waren die Rettungsvorschläge, die da gemacht wurden. Das sagte einem der gesunde Menschenverstand, und das erwies sich später, als man die Tatsachen in Ruhe überprüfen konnte. Richtig war, daß die Spanier in diesen Tagen ihre Grenzen noch offen hielten; aber natürlich verlangten sie Papiere, Ausweise, und sie ließen nur Franzosen hinüber. Und ein amerikanisches Konsulat gab es überhaupt nicht in Bayonne.
    Sich fortmachen aus diesem unseligen Zug, die Versuchung lag nahe. Aber was war gewonnen, wenn man es tat? Zwei, drei Tage konnte man sich vielleicht halten. Aber wenn uns dann die Nazis verfolgten, wenn sie uns suchten, was dann? Sie führten die Siebung durch, welche die Franzosen nicht hatten durchführen können, sie fanden, wen sie suchten.
    Und selbst von den Franzosen, von der Bevölkerung hatten wir Schlimmes zu befürchten, wenn wir uns so ohne Papiere im Land herumtrieben. Nur wenige von uns sprachen das Französische so akzentlos, daß sie sich hätten für Franzosen ausgeben können. Viel wahrscheinlicher war, daß die Bevölkerung uns für versprengte Nazis nahm, für Feinde. Wenigstens ordentliche Papiere mußten wir haben. Wenigstens den Franzosen mußten wir beweisen können, daß wir Nazigegner waren, daß wir Anspruch hatten auf Schutz.
    Wir gingen zurück zum Wagen des Kapitäns. »Viele von uns«, erklärten wir ihm, »wollen versuchen, sich auf eigene Faust durchzuschlagen.« – »Tun Sie das«, antwortete kühl der Kapitän. »Wer versuchen will, sich allein zu retten, mag es tun. Aber ich rate ab. Sie haben wenig Hoffnung, einzeln und zu Fuß aus dem Bereich der Hitler-Truppen herauszukommen. Ich aber und mein Zug, wir haben vorläufig noch den gesamten Apparat der Militärbehörde zur Verfügung. Wir haben Aussicht, Sie in ein Gebiet zu bringen, das nicht in der Hand der Deutschen ist, wenn der Waffenstillstand abgeschlossen wird.« Er sprach sehr ruhig, er stand immer noch auf dem Trittbrett seines Wagens, er machte einen zuverlässigen Eindruck. »Geben Sie uns wenigstens unsere Papiere zurück«, baten wir. »Dazu habe ich keine Vollmacht«, erklärte er. »Übrigens«, sprach er vernünftig weiter, »hätte ich auch in der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, gar nicht die technische Möglichkeit, die Papiere zu verteilen. Wer sich davonmachen will, tut es auf eigene Gefahr.« Wir drängten, baten, drohten, beschworen ihn. Er stand auf der Treppe seines Wagens. »Geben Sie doch Ruhe«, redete er auf uns ein. »Ich habe wirklich Wichtigeres zu tun, Besseres, in euerm Interesse.« Aber wir ließen nicht ab, wir flehten und drohten. Schließlich wurde er zornig. »Nein, nein«, rief er und verschwand im Innern seines Wagens.
    Der Zug stand und stand. Ein anderer Zug fuhr ab, ein zweiter, ein fünfter, ein zehnter, alle bis auf den letzten Winkel voll von Soldaten und Zivilisten. Unser Zug stand. Einige von uns machten sich fort, immer mehr machten sich fort, ohne Papiere, viele ohne Geld, auf Glück

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