Der Teufel in Frankreich
Militärbehörde schickte. Gespannt eilten wir, zu beschauen, was es geben mochte. Wasser? Lebensmittel? Es war nicht Wasser, es waren nicht Lebensmittel, es waren auch nicht Bretter, um Baracken zu bauen, oder Hacken, um Latrinengräben auszuheben. Es war Stacheldraht.
Während wir so auf der Wiese herumlungerten, kamen zu mir zwei jüngere Männer, ernsten Gesichtes, und sagten, sie hätten mir etwas mitzuteilen. Sie möchten es mir aber nicht vor den andern sagen, ich möchte mit ihnen kommen.
Wir gingen in einen kleinen, mit Kopfsteinen gepflasterten Wirtschaftshof, der durch ein Gatter von der Wiese getrennt war. Eine Seite dieses Hofes war eingenommen von einer offenen Remise. Dort gingen wir hin. Die Remise hatte ein schräges Dach, auf dem Bo- den war Stroh verstreut, eine Raufe war da, ein großer Trog, ein alter Leiterwagen. Ich erinnere mich des Ortes genau.
Wir standen im Schatten, auf dem besonnten kleinen Hof schlenderten und hockten Soldaten herum, auch einige von den Unsern, mehrere standen an dem Pumpbrunnen, der kein Wasser geben wollte. Schon kamen, da sie mich erspäht hatten, welche von uns heran, um mit mir zu schwatzen. Doch die beiden, die mich hergebracht hatten, baten sie, uns allein zu lassen, sie hätten mit mir zu sprechen, und sie zogen mich in einen beschatteten Winkel und versuchten, mich vor den andern zu decken.
Sie gaben mir ein Zeitungsblatt. »Lesen Sie«, sagten sie. Ich las. Es war eine Zeitung von heute morgen, eine Zeitung der Stadt Nîmes, und mitgeteilt waren in ihr die Bedingungen des Waffenstillstandes. Ich erinnere mich genau, wie ich las, ich erinnere mich des Formats der kleinen Zeitung, der Satzordnung, in welcher der Wortlaut der Waffenstillstandsbedingungen gedruckt war. Ich las gespannt, mit allen Sinnen, langsam und gleichzeitig schnell, Klausel um Klausel. Ich las Klausel eins, Klausel fünf und Klausel fünfzehn und schließlich Klausel neunzehn. Klausel neunzehn schrieb vor, daß die Franzosen den Nazis alle jene Deutschen auszuliefern hätten, welche sie, die Nazis, begehrten.
Die Knie zitterten mir, ich las nicht weiter. »Alle jene Deutschen, welche die Nazis begehrten.« Ich war in den Reden und Zeitungen der Nazis hindurch »Feind Nummer eins« genannt worden. Wenn sie eine Auslieferungsliste überreichten, dann stand ich sicher weit oben.
»Danke«, sagte ich und gab das Zeitungsblatt zurück.
Es war binnen kurzer Zeit das dritte Mal, daß ich den Tod recht nahe spürte. Das erste Mal hatte ich ihn nahe gespürt damals in der Nacht, als die Nazis immer näher rückten und der Zug nicht kam. Das zweite Mal dann in Bayonne, als die Nazis mich umstellt zu haben schienen. Und jetzt also griffen sie ein drittes Mal nach mir, aus nächster Nähe, und diejenigen, deren Schutz ich mich anvertraut, hatten eingewilligt, mich herauszugeben.
»Was denken Sie«, fragten die beiden. »Was sollen wir tun?« – »Ich bin Tr… «, sagte der eine, »vielleicht erinnern Sie sich. Nach der Messerstecherei bei der Demonstration am soundsovielten haben die Nazis mich beschuldigt, ich hätte den Pg. Fischer umgebracht. Ich wurde freigesprochen. Aber für die Nazis bin ich natürlich der Mörder.« – »Was sollen wir tun?« fragten sie wieder, »wir sind in der gleichen Lage, Sie und wir. Jetzt ist es noch leicht, sich zu drücken. Morgen ist es vielleicht zu spät.« Sie sprachen ruhig, verständig. »Lassen Sie mich in der Ruhe eine Stunde überlegen«, bat ich. »Ich bin langsam, ich muß das Für und Wider in Ruhe überdenken können.« – »Gut«, sagten sie. »Wir haben es Ihnen gesagt, weil Sie am meisten bedroht sind. Wollen Sie die Zeitung behalten?« – »Nein«, sagte ich, »ich weiß genug.« Wir trennten uns.
Als ich den kleinen Wirtschaftshof verließ, kam mir Karl entgegen, vergnügt. »Ihr Koffer ist da«, sagte er. »Ich habe alle Ihre Sachen zusammengestellt. Ich habe was zu trinken für Sie«, sprach er stolz weiter. »Ich habe auch einen Platz gefunden, wo Sie sich ruhig hinlegen können. Soll ich Ihnen die Decke hinbringen?« – »Tun Sie das«, sagte ich. »Danke, Karl.«
Er hatte in einer Thermosflasche etwas Tee für mich. Ich trank. Dann holte er die Decke und brachte mich über die Wiese zu einem sanften Abhang unter Bäumen. Er breitete die Decke hin, sie war gesprenkelt von dem Licht der Sonne und dem Schatten der Bäume. Ich legte mich hin und schloß die Augen.
Kameraden, die mich in den übeln und manchmal lebensgefährlichen
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