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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Situationen jener Monate zu beobachten Gelegenheit hatten, finden, ich hätte mehr Mut und Gleichmut gezeigt als die meisten andern.
    Meine Anschauungen über die sittliche Bedeutung des Mutes, insbesondere des physischen Mutes, weichen ab von den üblichen; ich bin in meiner Wertung der Eigenschaft Mut ein Ketzer, wie es der Philosoph Plato war und wie es der Flieger Saint-Exupéry ist. Plato weist dem Mut in der Rangordnung der Tugenden den letzten Platz an, und der Flieger, berühmt um seiner persönlichen Tapferkeit willen, ein Sachverständiger also, konstatiert, daß Mut, zumindest physischer Mut, sich zusammensetzt aus Strebungen und Gefühlen von zweifelhaftem Wert, nämlich aus sturer Wut, aus Eitelkeit, aus ordinärer Lust am Sport.
    Ich möchte hier aus eigenem Erleben eine kleine Episode beisteuern. Ich habe einen Bruder, der im ersten Weltkrieg, ein Siebzehnjähriger, freiwillig ins Feld ging und dort Heldentaten verrichtete. Er bekam die höchste Kriegsauszeichnung und ist einer der ganz wenigen gemeinen Soldaten, die während des Krieges im Bericht der obersten Heeresleitung genannt wurden. Als ich ihn fragte, wieso er eigentlich dazu gekommen sei, Heldentaten zu verrichten, antwortete er, ein wenig geniert und vermutlich wahrheitsgemäß, es wäre sonst zu langweilig gewesen.
    Physischer Mut ist eine ziemlich weitverbreitete Eigenschaft. Der vorige Krieg und noch vielmehr dieser haben erwiesen, daß ein erheblich größeres Quantum physischen Mutes in der Welt ist, als wir gemeinhin angenommen haben. In beiden Kriegen galt es unzählige Male, Taten auszuführen, deren Erfolgsaussichten viel geringer waren als die Wahrscheinlichkeit, daß sie mit dem Untergang des Täters enden würden. Überall und immer waren Tausende von Freiwilligen bereit, solche Taten zu verrichten.
    Sigmund Freud hat in einem kleinen großen Buch, das während des ersten Krieges zu veröffentlichen er den geistigen Mut aufbrachte, das physische Heldentum darauf zurückgeführt, daß zwar jedermann vom Verstande her um seinen Tod weiß, daß aber in seinem heimlichsten Innern niemand an diesen seinen Tod glaubt. Die Erfahrungstatsache, daß alle Menschen sterben müssen, ist keinem von uns so tief ins Unterbewußtsein gedrungen, daß sich nicht sein letztes Innerstes mit aller Macht wehrte gegen die Vorstellung einer Welt, die ohne ihn weiter existieren könnte.
    Ist, wie gesagt, in unserer Epoche physische Tapferkeit häufig anzutreffen, so ist in dieser unserer Welt von heute geistige Tapferkeit, Zivilcourage, um so spärlicher. Solche, die größten körperlichen Mut an den Tag gelegt haben, versagen zuweilen, wenn es gilt, geistigen Mut zu zeigen. Ich habe erlebt, daß Menschen, die in diesem Krieg inmitten höchster physischer Gefahr ihren Mann standen, Flieger von Rang, nicht den Mut aufbrachten, sich bei einer Cocktail-Party zu ihrer Überzeugung zu bekennen, wenn diese Überzeugung den Teilnehmern der Party gegen den Strich ging.
    Was mich selber anlangt, so macht mich physische Gefahr im Augenblick ihres Auftretens nervös. Wenn etwa auf einer einsamen Straße ein paar verdächtig aussehende Kerle aus dem Dunkel auftauchen und mich um Feuer ersuchen oder wenn in Zeiten eines Umsturzes Bewaffnete bei mir Haussuchung halten und mich zu verhaften drohen, dann kriecht mir ein widerwärtiges Gefühl den Magen hinauf, und ich beginne auf der Oberlippe zu schwitzen. Ja, schon wenn einer auf der Bühne mit dem Revolver herumfuchtelt, ist mir das unangenehm. Wenn meine Lagerkameraden aus meinem Verhalten in der Gefahr gleichwohl den Eindruck hatten, ich sei mutig, dann wohl deshalb, weil meine Panik gewöhnlich nur Augenblicke dauert und nach außen kaum sichtbar wird. Es pflegt nämlich in mir rasch wieder jene Schicksalsgläubigkeit zu erwachen, von der ich mehrmals sprach. Vielleicht ist auch in mir jener Freudsche Aberglaube besonders lebendig und versichert mir gerade in Minuten der Gefahr, es könne oder werde mir schon nichts geschehen.
    Wenn ich also glaube, daß es im ganzen trotz des gegenteiligen äußeren Anscheins um meinen physischen Mut nicht allzugut bestellt ist, so glaube ich andernteils, daß ich es an Zivilcourage nur in seltenen Fällen habe fehlen lassen.
    Der Trieb, herauszusagen, was ich denke, ist mir tief eingeboren. Ich kann den Mund nicht halten, auch wenn es gefährlich ist. Wenn jemand zum Beispiel äußert, Montaigne sei um 1600 geboren worden, dann kann ich mich nicht bezähmen, dann muß ich, auch

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