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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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wenn diese Äußerung von einem mächtigen und leicht zu erzürnenden Mann getan wurde, den Mund aufmachen und erwidern: »Mein Herr, Sie irren, Montaigne ist 1533 geboren.«
    Daß ich nicht das Talent habe, zur rechten Zeit den Mund zu halten, hat mir viele Gegner verschafft und mich in manche peinliche Situation gebracht. Da hat zum Beispiel gelegentlich jemand erklärt, die Sowjetregierung lasse alle paar Jahre die Hände aller Sowjetbürger untersuchen und schicke diejenigen, an denen sie zarte und gepflegte Hände finde, in die Bergwerke. Ich konnte nicht umhin zu erwidern, daß ich eine ganze Reihe von Sowjetrussen kennte mit zarten, gepflegten Händen, die aber gleichwohl nicht in den Bergwerken arbeiteten, zum Beispiel den Schriftsteller Alexei Tolstoi, den Filmregisseur Eisenstein, den Parteisekretär Stalin. Der Herr verfocht seine Meinung über die Kriterien, nach denen die Bergarbeiter der Sowjetunion ausgelesen würden, nicht länger, aber er kann mich seither nicht leiden.
    Ein andermal, als ein großer Herr die Behauptung vertrat, der Durchschnittsamerikaner lebe im Überfluß, konnte ich mir die Anmerkung nicht verkneifen, daß gemäß einer glaubwürdigen Statistik von den hundertdreißig Millionen Amerikanern achtzig Millionen ein Durchschnittseinkommen von neunundsechzig Dollar pro Familie und pro Monat hätten. Seither ist auch dieser Mächtige mein Freund nicht mehr.
    Im übrigen ist ja jede Eigenschaft doppelbodig. So mag man auch meine Sucht, die Dinge, die ich mit einiger Sicherheit zu wissen glaube, also zum Beispiel den Satz zwei mal zwei ist vier, den Dingen, die ich nicht für unbedingt gesichert halte, also zum Beispiel dem Satz zwei mal zwei ist fünf, entgegenzustellen, so mag man denn auch diese meine Sucht nach Belieben Vorwitz nennen oder Bekennermut. Auf alle Fälle ist dieser Vorwitz oder Bekennermut eine meiner hervorstechendsten Eigenschaften und eine, die mich von den meisten Zeitgenossen unterscheidet.
    Wahrscheinlich habe ich diese Eigenschaft in mir deshalb in solchem Maße ausgebildet, weil ich mich für einen Schriftsteller halte. Zu sagen was ist, beziehungsweise das, wovon man glaubt, es sei, scheint mir an der ganzen Schriftstellerei der Hauptspaß. Selbst wenn ich, wie es der Fall war und ist und sein wird, diesen Spaß sehr hoch bezahlen muß, finde ich ihn nicht zu teuer bezahlt. Wozu wäre ich ein Schriftsteller von einigem Ansehen, wenn ich mir nicht einmal diesen Luxus sollte leisten können?
    Merkwürdig ist, daß man mir, wenn ich erkläre, zwei mal zwei sei vier, so häufig den Einwand entgegenhält, das sei Politik und ein Schriftsteller habe sich nicht in Politik zu mischen. Es ist verwunderlich, von wieviel Feststellungen, historischen, philologischen, biologischen, soziologischen, ökonomischen, die Leute behaupten, sie seien Politik. Dabei bin gerade ich an Politik durchaus nicht interessiert. Ich bin kein aktiver Mensch, Geschäftigkeit, Betriebsamkeit, ohne die doch nun einmal Politik nicht zu denken ist, widert mich an. Was mir Freude macht, ist Betrachtung, Darstellung.
    Als Schriftsteller bin ich interessiert an der Verbindung von zweierlei Arten geistiger Betätigung, von zwei Wissenschaften, wenn man so will, nämlich an der Verbindung von Geschichte und Philologie. Wobei ich wiederum an jenen Theodor Lessing denke, der Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen bezeichnet hat.
    Es ist dieses mein Interesse an Historie, das mich veranlaßt, manchmal laut darüber nachzudenken, wie wohl ein Schriftsteller des Jahres 2000 das ausdrücken wird, was ein Journalist des Jahres 1940 auf die oder jene Weise ausdrückt. Und es ist meine Freude an der Philologie, mein Wille zur Schärfe und Präzision des Ausdruckes, der mich, wenn einer erklärt, es sei kalt, und der andere, es sei warm, veranlaßt, auf das Thermometer zu schauen und zu sagen: »Meine Herren, es hat hier 19 Grad Celsius.«
    Ich kehre zurück zu der Wiese, auf der ich lag. Soll ich, überlegte ich, hier, in Obhut der Franzosen warten, bis die Nazis mich abholen? Wenn jemand nach einem greift, dann läuft man doch davon. Das ist der erste Ratschlag, den der Instinkt einem gibt. Die beiden Freunde, die mir die Nachricht gebracht, hatten recht. Durchgehen. Es bleibt einem überhaupt nichts anderes übrig.
    »Was haben Sie?« fragte Karl. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Ist irgend etwas Unangenehmes passiert?« – »Ja«, sagte ich, »es ist etwas Unangenehmes passiert. Aber sprechen Sie jetzt nicht

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