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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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zu mir. Ich sage es Ihnen später.«
    Man soll ersten Regungen nicht trauen. Der Instinkt ist keineswegs immer ein guter Ratgeber. Gewiß, ich könnte jetzt durchgehen. Aber wohin soll ich gehen? Wenn die Nazis meine Auslieferung verlangen, wenn sie die Franzosen zwingen, eine ernstliche Suche anzustellen, dann bin ich verloren, wohin immer ich gehe. In einem Land, das vom Feinde besetzt ist und dessen Grenzen abgesperrt sind, kann man sich auf die Dauer nicht verstecken. Wenn die Deutschen das Land durchkämmen, dann finden sie mich.
    Ist es nicht klüger, ganz offen mit den Franzosen zu reden? Vielleicht wollen sie mich gar nicht ausliefern. Marschall Pétain spricht viel von Ehre. Geht es nicht gegen die Ehre, Menschen auszuliefern, denen man feierlich Gastrecht und Schutz zugesagt hat? Auf mich allein angewiesen, werde ich es nicht leicht haben, zu verschwinden; aber wenn die Franzosen mich verschwinden lassen wollen, dann haben sie dazu tausend Wege.
    Ja, ich werde erst einmal offen mit dem Kommandanten reden. Durchgehen, hier, in die Wälder gehen, dazu ist immer noch Zeit, noch im letzten Augen- blick.
    Ich mische mich wieder unter die andern. Es ist merkwürdig, was für eine tiefe Kluft eine das Leben ändernde Neuigkeit aufreißt zwischen dem, der sie weiß, und den noch nicht Wissenden. Soeben noch, vor einer kleinen Stunde noch, bevor ich die Nachricht gelesen hatte, war zwischen mir und den andern völlige Gemeinschaft gewesen. Meine Interessen waren genau die gleichen gewesen wie die ihren: Wie steht es ums Gepäck? Kriegen wir endlich Wasser? Werden die mittlerweile versprochenen Zelte kommen? Jetzt war alles verändert. Jetzt existierte nichts mehr für mich als die Gefahr sehr nahen Unterganges. Ich verachtete die andern mit ihren läppischen Sorgen um das bißchen Gepäck und um das Wasser.
    Im übrigen begann die Nachricht von der Klausel neunzehn sich herumzusprechen. Gruppen entstanden, debattierten. Viele waren ernstlich bedroht, und ich verstand gut ihre Angst, Sorge, Verzweiflung. Es gab aber auch solche, die sich, wiewohl sich die Nazis bestimmt nicht um sie scherten, wichtig vorkamen und das Auslieferungsbegehren zum Anlaß nahmen, vor sich selber und vor den andern aufzuspielen. Kleine Kaufleute, die einmal ein paar Franken für ein antifaschistisches Unternehmen gezeichnet hatten, fragten voll eitler Angst, ob sie wohl als politische Persönlichkeiten anzusehen seien, ob wohl die Nazis ihre Auslieferung verlangen würden.
    Ein paar Juristen legten mir dar, daß die Klausel neunzehn uns hier im Lager gar nicht betreffe. Die meisten Lagerinsassen seien unpolitisch, um sie kümmerten sich die Nazis bestimmt nicht. Uns andre aber, uns politische Gegner der Nazis auszuliefern, seien die Franzosen nach dem Wortlaut der Klausel gar nicht verpflichtet. Denn uns, ihren politischen Gegnern, hatten die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Wir waren keine »Deutschen« im Sinne Hitlers, im Sinne des Waffenstillstandsvertrages. Wenn die Franzosen uns nicht ausliefern wollten, dann bot ihnen der Wortlaut jener Klausel eine bequeme Handhabe für Einwände.
    Einige jüngere Linksleute nannten das leeres Gerede. Im Grunde, fanden sie, hätten die französischen Faschisten, die jetzt an der Macht seien, genau die gleichen Interessen wie die Deutschen. Les loups ne se mangent pas entre eux, die Wölfe fressen einander nicht auf. Die Regierung Hitler und die Regierung Laval arbeiteten einander in die Hände, wir deutschen Linksleute seien den heutigen faschistischen Führern Frankreichs viel mehr verhaßt als die Nazis, selbstverständlich würden sie uns ausliefern. Es bleibe uns gar nichts anderes übrig, als durchzugehen. Noch sei ein großer Teil der französischen Bevölkerung für uns. Doch wer könne wissen, wie lange diese Leute noch Bewegungsfreiheit hätten. Wir dürften also nicht zögern, wir müßten durchgehen, noch heute, jetzt.
    Das war eine Ansicht, die mancherlei für sich hatte. Aber ich wollte sie nicht gelten lassen. Wieder einmal gewann mein Fatalismus, meine innere Trägheit Macht über mich. Ich hörte gerne auf die Juristen, ich hörte gerne auf die Bedenken, die sich gegen die Meinung unserer Linksleute vorbringen ließen.

    Mittlerweile waren die versprochenen Zelte angelangt. Man schlug die Pflöcke ein, man schlug die Zelte auf. Es waren hübsche, weiße, spitz zulaufende Zelte, sogenannte Marabous, wie sie bei den französischen Kolonialtruppen in Gebrauch sind, und

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