Der Teufel in Frankreich
sie boten, diese fröhlichen weißen Zelte auf den grünen Wiesen inmitten der lieblichen Landschaft, einen schönen, heitern Anblick.
Das Innere der Zelte freilich, das stellte sich bald heraus, war weniger angenehm. Stroh gab es nicht viel, vom Erdboden stieg des Nachts Feuchtigkeit und Kälte auf. Da die Zelte spitz zuliefen, mußte man im Kreise schlafen, den Kopf an der Zeltbahn, den Körper schräg nach innen, so daß die Füße ständig an die Füße des Nachbarn stießen; auch streifte einem die Zeltwand, sowie man den Kopf drehte, das Gesicht. Es war dunkel im Zelt, und so kalt die Nacht war, so drückend schwül war der Mittag.
Platz zum Schlafen gab es auch hier nicht viel. Ein Zelt faßte je sechzehn Mann. Hatte früher die Gruppe, der man zugehörte, vieles im Leben des einzelnen bestimmt, so spielte jetzt die Zeltgemeinschaft eine große Rolle.
Wir in unserm Zelt waren zunächst nur vierzehn, fast lauter Leute, die schon in Les Milles in der gleichen Gruppe gewesen waren. Die meisten waren hilfsbereit und anstellig.
Das Essen hier im Zeltlager war im ganzen besser als in Les Milles und reichlicher. Sehr schlecht war das Brot, das man uns lieferte, es war immer feucht und schimmelig, schwer verdaulich, die Ursache mancher Krankheit.
Das einzige, was uns an unsere Gefangenschaft erinnerte, war der Stacheldraht, der das Lager umgab. Bald indes hatten wir ihn an mehreren Stellen so zurechtgebogen, daß man ohne große Anstrengung durchkriechen konnte. Tief bücken mußte man sich freilich, und häufig zerfetzte einem der Stacheldraht den Rock oder das Hemd oder die Haut. Ich habe nicht viel Sinn für Würde, aber immer wieder empfand ich es als erniedrigend, daß man sich so oft des Tages und so sinnlos bücken mußte.
Sinnlos. Denn niemand nahm Anstoß daran, daß wir durch den Stacheldraht krochen. Die Wachsoldaten, die ein paar Meter entfernt an den Eingängen standen, schauten unbeteiligt zu. Wollte man aber das Lager aufrecht verlassen, durch einen der ordentlichen Eingänge, dann riefen sie einem zu: »Nicht weitergehen.« Einmal, als der Wachsoldat mir das zurief, fragte ich ihn, neugierig wie ich bin: »Was würden Sie tun, wenn ich doch weiterginge? Würden Sie schießen?« – »Ich bin doch nicht verrückt«, antwortete der Mann. »Aber«, fügte er vernünftig hinzu, »machen Sie es sich und mir leicht und kriechen Sie durch den Stacheldraht«
Da man uns so wenig Hindernisse in den Weg legte, das Lager zu verlassen, versuchten viele, sich zu drükken. Doch die meisten kamen nicht weit. Die Straßen, die Eisenbahnen, die Autobusse waren nach wie vor überwacht, die Gendarmerie besorgte diese Überwachung inmitten der allgemeinen Desorganisation stur und zuverlässig. Wer der Gendarmerie in die Hände fiel, wurde ins Lager zurückgeliefert, fast immer gefesselt, nach einem mühseligen Polizeitransport. Im Lager selber wurde er vierundzwanzig Stunden bei Wasser und Brot in den Schweinestall gesperrt, das war ein ungemütlicher Ort, voll Gestank, voll Ratten, und man konnte dort nicht aufrecht stehen.
Das entfernteste Ziel, das man ohne ernstliches Risiko erreichen konnte, war die Stadt Nîmes. Man tat freilich gut daran, die Hauptstraße zu vermeiden, auch sonst gab es ein paar Kreuzpunkte, an denen man sich besser nicht sehen ließ. Hatte man aber die Stadt Nîmes einmal erreicht, dann konnte man sich leicht verlieren in der ungeheuren Menge der Flüchtlinge, die vom Norden kam. Viele von uns stiegen denn auch hinunter in die Stadt, aßen in einem der guten Restaurants, schliefen in einem guten Bett, gönnten sich ein gutes warmes Bad. Am andern Morgen dann fuhren sie sehr früh in einer Autodroschke zurück, ließen sie in der Nähe des Lagers halten, krochen durch den Stacheldraht, schlichen sich zurück in ihr Zelt und waren zum Morgenkaffee brav wieder da. Einer erzählte grinsend, er habe in seinem Hotel Wand an Wand mit einem Mitglied der deutschen Kontrollkommission geschlafen.
Viele von uns machten den immerhin anstrengen den Marsch nach Nîmes, nicht um sich eine Nacht zu verschaffen, in der sie sich erholen konnten von den Unannehmlichkeiten des Zeltlagers, sondern aus Gründen ihres Lebensunterhalts, aus Gründen ihrer Geschäfte. Sie nahmen Rucksäcke, stiegen nächtlicherweise durch die Wälder und auf den Bergpfaden hinunter, kauften Lebensmittel und schleppten sie herauf, um sie mit Gewinn weiterzuveräußern.
Schon in der Ziegelei von Les Milles und selbst später in
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