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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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unserm schauerlichen Zug hatte es viel Handel gegeben. Hier im Zeltlager war Handel und Gefeilsche überall. Jene Wiener Caféhausbesitzer waren wieder da, sie schienen zugenommen zu haben, an allen Ecken und Enden boten sie ihren Kaffee und ihren Tee an, nicht heimlich wie in Les Milles, sondern öffentlich, sie riefen ihn aus: »Der gute Kaffee, der frische, der heiße«, sie machten einander Konkurrenz, sie ließen sich primitive Bänke und Tische zimmern, bald gab es auch Gebäck jeder Art.
    Mehr und mehr nahm unser Lager das Wesen eines Jahrmarktes an. Die Händler hatten die Hauptstraße, welche die Zelte entlangführte, ganz für sich okkupiert. Dort gab es Kaffeeausschanke, die Inhaber hatten sich Bretter verschafft, man stand und saß dort wie an einer Bar. Es gab Leckereien, es gab heiße Suppe, Würstchen, kaltes Fleisch. Es wurde Musik gemacht, mit Geschrei priesen die Händler ihre Waren an. Es gab Verkaufsstände, wo Hemden ausgestellt waren, Uhren, Schuhe, die Hinterlassenschaft jener, die geflohen waren. Häufig auch gab es Streit, weil einer einen Gegenstand, der dort zum Verkauf ausgestellt war, als sein Eigentum reklamierte.
    Es ist wohlfeil, sich zu entrüsten über die armen Teufel, welche sich durch Schacher jeder Art ein paar Franken zu erraffen suchten und welche wohl gar die andern, ihre Gefährten im Elend, bestahlen. Was sollten diese Unseligen tun? Ihre Kleider zerlumpten, das Es sen, welches die Lagerleitung bot, genügte gerade zur Fristung des Lebens und ließ einen hungrig. Es gab unter den zweitausend Lagerinsassen vielleicht hundert, die sich die paar erhältlichen Zutaten und Annehmlichkeiten ohne Rücksicht auf den Preis verschaffen konnten. Die meisten aber mußten rechnen, und sehr viele gab es, die nichts besaßen, im Wortsinne nichts, auch keinen Freund oder Verwandten außerhalb, der ihnen einen Centime hätte geben können. Diese Leute waren angewiesen auf die Mildtätigkeit der Wohlhabenden. Und da der Wohlhabenden so wenige, ihrer aber, der Bedürftigen, so viele waren, blieb ihnen kaum etwas andres übrig, als zu schachern oder noch bedenklichere Mittel anzuwenden.

    Alles in allem war der Aufenthalt im Lager von San Nicola viel weniger qualvoll als der in der Ziegelei von Les Milles oder gar der im Zug. Wir hatten unsere fröhlichen Zelte, wir hatten den heitern Himmel, die liebliche Landschaft. Es gab keinen Appell, der Stacheldraht war reine Kulisse, man ließ uns tun und lassen, was wir wollten.
    Aber es hatte seine Tücken, das Leben in der weißen, hübschen Zeltstadt.
    Da war zunächst die Sache mit den Latrinen. Wir hatten Schaufeln und Hacken bekommen, um an einer bestimmten Stelle in der Nähe des Stacheldrahts einen tiefen, langen Graben auszuheben. Aber es war widerwärtig, in diesem Graben seine Notdurft zu verrichten, man rutschte, man stand im Kot. Die meisten begaben sich zur Verrichtung der Notdurft in das Gehölz außerhalb des Stacheldrahts. Bald war wie Dornröschen von ihrem Wall unser lieblich anzuschauendes Lager umzirkt von einem Kreis von Gestank. Dieser Kreis erweiterte sich immer mehr, da jeder unwillkürlich immer weiter wegging. Der Mangel an Wasser, das schlechte Brot, die Zusammenpferchung, das Fehlen geeigneter Latrinen ließ von neuem Dysenterie entstehen. Auch gab es wieder leichte Fälle von Typhus.
    Es fehlte an Medizin, es fehlte an Opium.
    Tag für Tag standen an hundert Menschen Schlange vor dem Zelt, in welchem der junge französische Arzt amtierte, der unserm Lager zugeteilt war. »Was fehlt Ihnen«, fragte er. »Diarrhoe«, antwortete der Kranke, »ich glaube, Dysenterie.« Der Arzt zuckte die Achseln. »Tant pis pour vous«, sagte er. »Le suivant«, sagte er. (»Um so schlimmer für Sie, der nächste.«)
    Abgesehen von der Dysenterie, an welcher wir alle reihum litten, gab es eine andre große Plage: die Moskitos. Mit dem vorrückenden Sommer nahmen sie zu. Schon in Les Milles hatten viele von uns in ihren zerlumpten, phantastisch zusammengestoppelten Kleidern ausgesehen, als wären sie auf einem Kostümfest. Jetzt bedeckten zudem die meisten ihr Gesicht mit grünen oder roten Gazeschleiern, um es gegen die Moskitos zu schützen. Es war ein bunter, grotesker Anblick. Des Nachts zündete man vor jedem Zelt ein großes Feuer an, um durch den Rauch die Moskitos zu verscheuchen. Zerlumpte Männer standen an den Feuern und wedelten mit belaubten Zweigen, um den Rauch in die Zelte zu treiben. Stand man auf einem der kleinen Hügel, die

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