Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Geschichte, es ist unsere. Diese Geschichte, sie hat uns alle zu Krüppeln gemacht. Viele körperlich, alle seelisch.“ Er sah Erik lange an. Erik wandte den Blick ab.
„ Ich möchte nicht unhöflich sein“, sagte Thomas Hellermann, und seine Stimme klang wie Herbstlaub im Wind. "aber wenn Sie kein weiteres Anliegen haben, Erik ...“ Ein erneuter Hustenanfall schüttelte den Pfarrer. Er presste sich das Taschentuch auf den Mund.
Die Tür ging auf, und die Wirtschafterin betrat den Raum. Sie warf Erik einen zornigen Blick zu. „Hinaus mit Ihnen, Erik. Er ist ein kranker Mann. Was wollen Sie hier, um diese Zeit? So etwas gehört sich nicht! Ich hätte Ihnen mehr Verstand zugetraut. Gehen Sie schon! Gehen Sie!“
Erik verließ das Zimmer mit gesenktem Kopf.
Er wusste, dass der Pfarrer ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte. Er fragte sich, wie viel von dem, was der Pfarrer ihm bislang erzählt hatte, der Wahrheit auch nur nahe kam. Die Wahrheit ist eine sehr subjektive Angelegenheit , dachte er. Und sie kann sehr schmerzvoll sein. So schmerzvoll, dass man sie manchmal besser in einem Haus aus Lügen einmauert.
Die Stimme seines Vaters erklang laut und deutlich in seinem Kopf. Damit kennst du dich ja aus, Junge. Dein Lügenhaus hat feste Mauern.
Hinter ihm wurde der Pfarrer von einem erneuten Anfall gepackt. Sein Husten verfolgte Erik auf der Treppe nach unten, auf dem Pfarrhof und bis zum Gästehaus.
Er trat ein und schloss die Tür hinter sich, und endlich war es still.
Kapitel 3 3
Es war an der Zeit, endlich zu tun, was er viel zu lange vor sich hergeschoben hatte. Er musste mit Lothar Brant reden. Er brauchte einen Verbündeten, weil er alleine nicht von der Stelle kam. Und der Bürgermeister war der einzige, dem er diese Rolle zutraute. Doch selbst bei ihm war er sich nicht sicher, konnte sich nicht sicher sein: Lothars Reaktion auf seine Fragen nach Cornelius Piel flackerte in seiner Erinnerung auf.
Lothar öffnete ihm die Tür im Nachthemd. Er wirkte mürrisch, und die Perücke saß schief auf seinem Kopf, so als habe er sie hastig aufgesetzt. Als er Erik erkannte, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem verlegenen Lächeln. „Erik! Welch Freude.“ Er schüttelte ihm die Hand, ehe er Eriks fragenden Blick bemerkte. „Verzeihen Sie meine Aufmachung“, sagte er. „Ich habe keinen Besuch erwartet, nicht wahr?“
„ Hallo Lothar. Kann ich reinkommen?“
Lothar streckte sich und versuchte, an Erik vorbei einen Bli ck auf die Straße zu erhaschen.
Erik trat beiseite und wandte sich zum Marktplatz um. Aber dort war niemand zu sehen. „Suchen Sie jemanden?“, fragte er.
Wieder setzte Lothar sein verlegenes Lächeln auf. „Schon gut“, sagte er schnell. „Kommen Sie herein.“
Sie gingen ins Haus, und Lothar schloss die Tür hinter ihnen, nachdem er sich noch einmal verstohlen umgesehen hatte. Erik wollte die Wohnstube betreten, doch Lothar griff sich den Ärmel seines Mantels und bugsierte ihn sanft in Richtung Küche. Bevor Lothar die Tür zur Wohnstube zuzog, sah Erik eine Frau mit langen schwarzen Haaren auf der Couch sitzen, und daneben zwei Mädchen. Erik wünschte ihnen einen guten Tag, doch sie antworteten nicht. Dann fiel die Tür ins Schloss.
In der Küche setzte Erik sich an den großen Esstisch. Lothar nahm ihm gegenüber Platz.
„Nun, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, Erik?“
Erik sah auf seine gefalteten Hände hinunter, wog seine Worte genau ab. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, sagte er leise. Er räusperte sich. „Ich glaube, dass ich Ihnen vertrauen kann, Lothar. Deshalb bin ich hier. Sollte ich mich in Ihnen täuschen, dann ...“ Er brachte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen holte er zitternd Luft. „Hier ... hier geschehen seltsame Dinge.“
Lothar rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er sah über die Schulter zum Küchenfenster hinaus, ehe er sich wieder Erik zuwandte. „Was meinen Sie?“ Seine Mundwinkel zuckten.
„Kommen Sie, Lothar, Sie wissen genau, was ich meine.“
Lothar schluckte hörbar, doch er antwortete nicht. Er warf einen Blick zurück zur Tür der Wohnstube.
Erik beugte sich nach vo rn. „Es gibt hier keine Kinder. Entweder wurde seit zwölf Jahren kein einziges Kind mehr in Thannsüß geboren.“
„Hören Sie, Erik, da war ein schlimmes Fieber ...“
„Oder etwas anderes ist mit den Kindern geschehen. Und ich werde herausfinden, was.“
„Das Fieber hat sie alle geholt.“
„Die Geschichte hat mir der
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